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Politik

Vom Chaotenhaufen in die Mitte der Gesellschaft

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
12. Januar 2020

Seit ihrer Gründung im Januar 1980 haben es die Grünen geschafft, dass die Sorge um die Umwelt in Deutschland eine Hausnummer hat. Doch bald werden die Erwartungen an sie noch höher werden, meint Jens Thurau.

Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Die Grünen werden 40, und die Festrede hält der Bundespräsident. Bei der Gründung der Partei wäre man als grüner Pionier schon in Verdacht geraten, wenn man überhaupt mit dem Bundespräsidenten gesprochen hätte. Mit dem Establishment Kontakt aufzunehmen, galt damals als Verrat. Heute ist Frank-Walter Steinmeier ein gern gesehener Gast.

Vehement und abenteuerlich war die Reise der Grünen durch die politische Landschaft und mitten hinein in die Gesellschaft. Vor allem brachten sie etwas fertig, was bis dahin keiner anderen Gruppierung geglückt war: Mit einem Thema im Zentrum, dem Umwelt- und Naturschutz, das die anderen Parteien sträflich vernachlässigt hatten, einzubrechen in die Phalanx der traditionellen deutschen Parteien. 20 lange Jahre gab es im Bundestag nur: CDU, CSU, SPD und FDP. Die Grünen haben die Themenfelder rund um ein anderes Leben, um mehr Nachhaltigkeit, mehr Emanzipation, mehr Internationalität für immer verankert in der Mitte.

Vor allem die Jungen wählen grün

Das ist heute das Geheimnis hinter den Wahlerfolgen wie zuletzt bei der Europawahl: Zwei komplette Generationen haben mittlerweile so etwas wie eine grüne DNA. Noch erstaunlicher: Gerade die letzten Wahlerfolge verdanken die Grünen den Wählern unter 30 Jahren, denn für viele von ihnen ist der Klimawandel eine tatsächlich auch persönlich empfundene Bedrohung.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Irrungen und Wirrungen und Sackgassen gab es in der grünen Geschichte reichlich: Der Streit zwischen Fundamentalisten und Realpolitikern lähmte die Partei lange, die Deutsche Einheit verschliefen die Umweltschützer und flogen (jedenfalls im Westen) zu recht aus dem Bundestag. In ihren chaotischen Anfangsjahren wurden die Grünen zudem von bedenklichen Sektierern heimgesucht. Unrühmlicher Höhepunkt waren die teilweise erfolgreichen Versuche, für freien Sex zwischen Kindern und Erwachsenen einzutreten. Erst spät und mühsam begann die Partei diese dunklen Flecken aufzuarbeiten. Und die neuen Bundesländer, die frühere DDR, bleiben trotz leichter Besserungen für die Grünen ein schwieriges Terrain - es fehlt das großstädtische Milieu.

Heute haben die Grünen ihren Frieden gemacht mit der Marktwirtschaft, ihre Verbindungen in die Unternehmen hinein sind erstaunlich gut. Und sie sind längst nicht mehr festgelegt, wie in langen Jahren, auf Bündnisse mit den Sozialdemokraten. In elf der 16 Bundesländer regieren sie mit, in allen möglichen Konstellationen.

Bald wieder Regierungspartei

Zurzeit sind sie überdies ziemlich mit sich im Reinen. Seit zwei Jahren führen Robert Habeck und Annalena Baerbock die Partei, beides Realpolitiker, und die Partei ist schwer begeistert. Bei 23 Prozent liegen sie derzeit in den Umfragen, es wird immer wahrscheinlicher, dass nach der nächsten Wahl Ende 2021 eine erneute, die dann zweite Beteiligung an einer Bundesregierung auf die Grünen zukommt.  

Und da werden sie dann noch mal springen müssen, wie schon so oft: Wenn sie ihre Wählerschaft halten können, kommen auch Schlüsselressorts wie Finanzen, Verteidigung, Inneres auf sie zu. In einer immer stärker polarisierten Welt werden sie dann die europäischen und multilateralen Ideen hochhalten müssen, die immer auch die ihren waren. Und sie werden damit konfrontiert sein, die hohen Erwartungen, die etwa die "Fridays for Future"-Bewegung in sie setzt, mit der Realität zu versöhnen. Aber auf solche Herausforderungen scheinen sie vorbereitet: Von 70.000 auf fast 100.000 Mitglieder sind die Grünen binnen weniger Jahre gewachsen - viele junge Leute, bestens ausgebildet, sind darunter. 

Wirkungsvoller Klimaschutz mit den Grünen

Es war ein langer Weg von der "Anti-Parteien-Partei" zu den jetzigen Grünen. Es wird Zeit, dass sie jetzt demonstrieren können, was passiert, wenn sie mit über 20 Prozent der Wählerstimmen Politik von der Spitze mitbestimmen. Nicht wie damals, in der ersten rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder mit rund acht Prozent.

Schon jetzt haben die Grünen das Land verändert, aber der nächste große Schritt wartet schon: Das Land erwartet von den selbsternannten Klimaexperten, dass sie rasche Erfolge bringen. Was jedoch gewiss nicht leicht wird, wenn man die Menschen mit den schwierigen Konsequenzen des Abbaus der Treibhausgase konfrontiert. Bislang haben die Grünen stets davon profitiert, dass sie bei ihrem Markenkern nicht gewackelt haben. Der Beweis, ob die Menschen ihnen folgen, wenn sie ernst machen mit dem Klimaschutz, steht noch aus.

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