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Politik

Abschied von der Politik an der Seitenlinie

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Jens Thurau
22. Oktober 2019

Die Verteidigungsministerin setzt sich für eine von Europäern, Russen und Türken kontrollierte Sicherheitszone im Norden Syriens ein. Das ist ein Richtungswechsel der deutschen Politik, findet Jens Thurau.

Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Bisher war die deutsche Politik, was internationale Brandherde angeht, oft diese: Die anderen Staaten machten Vorschläge, die Deutschen nahmen zur Kenntnis und zögerten. Ausnahmen bestätigten die Regel: Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland etwa waren die Deutschen treibend, als es darum ging, die Gespräche im Normandie-Format zustande zu bringen und die Abkommen von Minsk ins Werk zu setzen. Aber bei der Reform in der EU, bei den Konflikten im Nahen Osten, überall da, wo notfalls auch militärische Interventionen mitbedacht werden müssten, stand und steht Deutschland eher am Rande. Nur ein Beispiel: Die Bundeswehr ist in Mali, aber wenn es ums Kämpfen geht, dann machen den Hauptjob die Franzosen.

Dreifaches Umdenken

Die deutsche Verteidigungsministerin, die gern irgendwann auch Bundeskanzlerin werden möchte, bricht jetzt gleich in mehrfacher Hinsicht mit dieser Politik. Zum einen zeigt ihr Vorschlag einer internationalen Sicherheitszone im Norden Syriens auch unter deutscher Beteiligung eine große Skepsis: die Skepsis nämlich, dass die Waffenruhe wirklich trägt, die gerade unter US-Vermittlung in dem umkämpften Gebiet herrscht. Annegret Kramp-Karrenbauer verzichtet zudem darauf, überhaupt den Versuch zu unternehmen, die Amerikaner wieder mit ins Boot zu holen. Der Abzug der US-Truppen aus der Region hat die Offensive der Türken erst möglich gemacht. Das war für Kramp-Karrenbauer offenbar der Augenblick, der die letzte Illusion zerstört hat, dass man mit Donald Trump eine koordinierte internationale Außen-und Sicherheitspolitik hinkriegt. Und zum Dritten: Endlich einmal kommt eine Initiative zu einer schwierigen politischen und militärischen Gemengelage, die Europa im Kern betrifft, nicht aus Frankreich oder Großbritannien. Es bleibt abzuwarten, was die europäischen Nato-Partner von der Idee halten.

DW-Redakteur Jens Thurau

Aber dass sie über ihren Vorstoß mit Kanzlerin Angela Merkel gesprochen hat, das vergaß Kramp-Karrenbauer nicht zu erwähnen. Es ist schon ein Zeichen, wenn die Kanzlerin in so einer wichtigen Frage ihrer Nachfolgerin an der CDU-Spitze die Initiative überlässt.

Offenbar hatte sich die Verteidigungsministerin das schon länger überlegt. Erst am vergangenen Samstag, beim Parteitag der CSU, brach es aus ihr heraus: "Ich kann es nicht mehr hören, dass wir besorgt sind", rief sie da und meinte genau diese deutsche Formel: Bestürzung über die Gewalt in der Welt, Verweigerung von robusten militärischen Einsätzen dagegen.

Breitseite für den Koalitionspartner

Für Außenminister Heiko Maas und seine SPD ist der Vorschlag eine Breitseite. Maas hatte seit Beginn der türkischen Offensive lediglich im Verbund mit anderen EU-Staaten leichte Einschränkungen bei Rüstungsexporten in Richtung Türkei verhängt, von Sanktionen wollte er nichts wissen. Dann musste er sich vom türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan in aller Öffentlichkeit als Dilettant beleidigen lassen, und brauchte Tage, um das energisch zurückzuweisen.

Ob es aber so klug von Kramp-Karrenbauer war, den Koalitionspartner nicht einzubinden in ihren Vorschlag, ist eine andere Frage. Der CDU-Chefin ist bewusst, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die SPD, das war absehbar, bewertet eine Beteiligung deutscher Soldaten an einer Sicherheitszone im Norden Syriens skeptisch, die Grünen und die Linken auch. Die CDU mit Kramp-Karrenbauer muss also Überzeugungsarbeit leisten, wenn sie nicht will, dass der Vorstoß der Ministerin bei den Partnern am Ende nicht so bewertet wird wie die meisten guten deutschen Ideen davor: Berlin tritt für Frieden und Verständigung ein, die militärische Drecksarbeit dürfen aber andere machen.

Aber erst einmal ist die Idee der CDU-Chefin erfrischend initiativ. Zumindest ist sie ein Zeichen, dass die Deutschen die Kurden und ihre Verdienste beim Kampf gegen den IS-Terror nicht vergessen haben - anders als der US-Präsident.