1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ein Verhütungsmittel unter vielen

Kommentarbild Yoani Sanchez PROVISORISCH
Yoani Sánchez
12. August 2018

In Kuba ist Schwangerschaftsabbruch längst legal, und trotzdem ist er ein großes Gesundheitsrisiko. Denn der Mangel an Kondomen und Pillen treibt viele Frauen mehrfach zur Abtreibung, meint Yoani Sánchez.

Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Campodonico

Sie ist 20 Jahre alt und hat vier Abtreibungen hinter sich. Die junge Kubanerin, deren Identität nicht preisgegeben werden soll, ist kein Einzelfall. Schwangerschaftsabbruch ist bei Frauen auf der Insel so häufig, dass es schwierig ist, eine Frau zu finden, die diese Erfahrung nicht durchlaufen hat. 

In einigen Ländern der Region können Frauen viele Jahre hinter Gittern verbringen, weil sie eine Abtreibung vorgenommen haben oder auch schon, weil sie dessen verdächtigt werden. Während in Ländern wie Chile und Argentinien die Debatte die Straßen und öffentlichen Foren befeuert, findet die Diskussion zu diesem Thema in Kuba, wenn überhaupt, in sozialen Netzwerken und auf den Webseiten der unabhängigen Presse statt.

Für die offizielle Propaganda handelt es sich um ein "gelöstes Problem", aber in den Kirchen wettern die Priester gegen Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden. Währenddessen ist der Vorgang in den kubanischen Krankenhäusern fast so selbstverständlich wie das Ziehen eines Zahnes. Die Abtreibung gilt als eine Verhütungsmethode von vielen.

Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez.Bild: Reuters

Der breite Zugang zu medizinischer Versorgung und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs tragen - trotz der Jahrzehnte langen materiellen Verschlechterung im Gesundheitswesen - dazu bei, das Leben vieler Freuen zu retten. Denn in Kuba sind sie nicht gezwungen, zu Kurpfuschern in improvisierten Kliniken zu gehen. Im Jahr 2016 fanden 85.445 dieser Eingriffe in kubanischen Krankenhäusern statt, was nach offiziellen Angaben 41,9 Unterbrechungen pro 100 Schwangerschaften entspricht.

Frauen werden alleine gelassen

Viele dieser Frauen kommen in die Krankenhäuser getrieben von der wirtschaftlich prekären Lage, aber auch von der Hilflosigkeit, die sie mangels familiärer Unterstützung oder wegen der Gleichgültigkeit ihrer Partner empfinden. Strenge Geschlechterrollen und der beherrschende Machismo legen die Verantwortung einseitig auf die Schultern der Frauen.

Dies ist der Fall von Aimara, die "in einem Haus lebt, in dem es zu viele Menschen und zu wenig Platz gibt", wie sie selbst sagt. Sie will "einem Mann, der sie missbraucht, kein Kind gebären und erst recht nicht in Kuba, so wie die Dinge stehen". Diese unbestimmten "Dinge" sind auf der Insel eine beliebte Umschreibung für das politische und wirtschaftliche System. Gerade hat Aimara ein Dutzend Apotheken in Havanna abgeklappert. "Es gibt keine Kondome", hat sie jedesmal von den Angestellten gesagt bekommen. Die Versorgung mit Antibabypillen ist ebenfalls schwierig, und die letzte Hormonspirale, hat "mehr geschadet als genutzt", sagt sie.

Wenn kubanische Frauen einerseits geltend machen, selbst über ihren Bauch entscheiden zu können, so schwingt in jedem Schwangerschaftsabbruch auch mit, dass er nur ein Ausweg aus dem Mangel an Verhütungsmitteln ist, dass er einen Ausweg aus der chronischen Wirtschaftskrise ein bisschen gangbarer macht, nämlich den Wunsch, das Land zu verlassen, dessen Umsetzung mit einem Kind nur noch komplizierter würde.

Mangelwirtschaft gefährdet die Gesundheit

"Ein Visum zu bekommen, ist für eine einzelne Person schon schwer genug. Erst recht für zwei", sagt Aimara mit pragmatischer Logik. In Kuba denken viele so. Der Wohnungsmangel in einem Land, in dem 800.000 Wohnungen fehlen, und der Wunsch, sich in einer anderen Region niederzulassen, sind die wichtigsten Gründe, die zu einem alarmierenden Rückgang der Geburtenrate geführt hat.

Zudem vervielfacht die in Kuba weit verbreitete wiederholte Abtreibung die Gefahren für die Gesundheit, zum Beispiel Probleme mit dem Gebärmutterhals und Unfruchtbarkeit. Auch Aimara balanciert auf diesem gefährlichen Drahtseil. Sie hat das verbriefte Recht, darüber zu bestimmen, was in ihrer Gebärmutter geschieht - aber ihr Leben und das ihrer zukünftigen Kinder liegt in den Händen einer höheren Gewalt. In den Händen einer Gruppe von mächtigen Herren ohne Eierstöcke, die in klimatisierten und komfortablen Büroräumen sitzen.

 

Warum wir die Kommentarfunktion abgeschaltet haben