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Politik

Die ewige Achterbahn

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
19. August 2019

Seit genau 100 Jahren ist Afghanistan jetzt ein unabhängiger Staat. Doch dieses Jahrhundert war ein ständiges Auf und Ab, und die nächste Talfahrt ist bereits absehbar, meint Florian Weigand.

Die Loja Dschirga - die große Ratsversammlung Afghanistans, die unregelmäßig in Kabul zusammengerufen wirdBild: DW/H. Sirat

Knapper hätte man die Geschichte seines Landes nicht zusammenfassen können als jener alte Afghane, den ich 2006 in Kabul getroffen habe: "Alexander der Große ist gekommen und gegangen, ebenso wie die Briten und die Sowjets. Warum sollten die Amerikaner nicht auch wieder gehen?"

13 Jahre danach scheinen sich seine Worte zu erfüllen. Ein Abkommen mit den Taliban über den Abzug der USA kann jeden Tag unterzeichnet werden. Und damit endet also bald wieder einmal eine Runde auf der ewigen Achterbahn am Hindukusch, auf der die Passagiere ständig wechseln, das Auf und Ab aber immer das Gleiche bleibt.

Mythos Unbezwingbarkeit

Früh war damit der Mythos geboren, den Afghanen gerne zum Besten geben: Eroberer kommen und gehen, ihre Zeit im Land ist aber stets eng begrenzt. Das macht viele Afghanen stolz und beklommen zugleich. Sie träumen von einem freien Afghanistan, das endlich nicht mehr der Spielball von fremden Mächten ist. Auf der anderen Seite: Wie soll das Land allein gedeihen - ein weitgehend arides Binnenland, gesegnet zwar mit reichen Bodenschätzen, für deren Ausbeutung aber noch Technik und Infrastruktur fehlen?

Florian Weigand leitet die Paschtu- und Dari-Redaktion

Der erste Versuch der Moderne, das Land auf eigene stabile Füße zu stellen und die Entwicklung in die eigene Hand zu nehmen, startete genau vor 100 Jahren. Damals, 1919, mussten die Briten nach drei zermürbenden und schließlich erfolglosen Kriegen einsehen, dass auch sie nur eine Episode im Land bleiben würden und entließen das Protektorat in die Unabhängigkeit.

Der erste König Amanullah Khan wollte das Land öffnen, aber ohne aufoktroyierte Vorgaben durch das Ausland. Er orientierte sich an modernistischen Strömungen im Orient. Sein Idol war der säkulare Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk. Tief beeindruckt zeigte er sich aber auch vom Deutschland der Weimarer Republik, das er als Staatsgast selbst besuchte. Seine Frau Soraya legte den Schleier ab, tiefgreifende Reformen trieb der König im Land voran. Gerne zitieren heute Regierungsvertreter in den sozialen Medien Aussprüche des Königs, in denen er betont, dass die Afghanen nur in eigener Verantwortung ihre Zukunft gestalten könnten.  Amanullah als Lichtgestalt und Vorbild für die Zukunft?

Rückschläge

Diejenigen, die heute applaudieren, sollten nicht vergessen, wie bitter das Ende war: Bald galt der König als Nachäffer des Westens und Verräter der eigenen Kultur. Nach einer Revolte musste er ins Exil. Sein Nachfolger nahm die Reformen wieder zurück, blieb aber nur kurz auf dem Thron. Es folgten zwar wieder Reformer, die wie König Zaher Shah viele Jahre des Friedens brachten. Doch am Ende wurden auch sie alle entweder weggeputscht oder ermordet.

Diese Ära endete mit der Invasion der Sowjets 1979. Doch ein Jahrzehnt später mussten auch sie wieder gehen. Die 1990er-Jahre brachten Bürgerkrieg und dann die Taliban.

Was kommt nun nach dem US-Militäreinsatz als Folge von 9/11, zweier NATO-Missionen, Milliarden an Entwicklungshilfe und mehr als eineinhalb Jahrzehnten demokratischer Verfassung?

Die nächste Talfahrt

Es scheint, dass die afghanische Achterbahn erneut auf ein Tal hinzurast. Die USA haben das Interesse verloren. Für einen gesichtswahrenden Abzug schrecken sie auch nicht davor zurück, ein Friedensabkommen mit den terroristischen Taliban zu schließen. Einzige Bedingung: Die Taliban müssen versprechen, dass künftig kein Terror von Afghanistan ausgeht. Was aus dem Land selbst wird, ist den USA herzlich egal.

Die Erfahrung der geschichtsbewussten Afghanen bestätigt sich also erneut: Ausländische Mächte kommen in der Regel nur, um ihre eigenen Interessen und Werte durchzusetzen.

Ähnliche Erfahrungen machten natürlich auch andere. Sie führten aber zum Beispiel auf dem indischen Subkontinent zu recht kreativen Lösungen. Nach der Kolonialherrschaft der Briten kam auch hier die Unabhängigkeit. Die Folgestaaten Indien und Pakistan - und später in den 1970er-Jahren nach der Loslösung von Pakistan auch Bangladesch - behielten für sie vorteilhafte Teile des Erbes der ehemaligen Besatzer; sei es im Bildungssystem, dem Militär oder eben als Lingua franca Englisch.

Skepsis gegenüber Ideen von außen

Der Mythos der eigenen Unbesiegbarkeit gepaart mit der traurigen Erfahrung mit wankelmütigen Partnern schürt in Afghanistan aber eher die Skepsis gegenüber Ideen von außen. Das macht das Land anfällig für Extremisten, die versprechen, genau diese Einflüsse zu verhindern oder zumindest zurückzudrehen.

Die Extremisten verdrängen freilich, dass auch die afghanische Kultur, deren "Reinheit" sie vorgeben zu verteidigen, ebenfalls das Ergebnis vieler Einflüsse von außen ist - sei es aus Arabien, Persien, Zentralasien oder dem Subkontinent. Würde diese über Jahrtausende gewachsene Fähigkeit wiederbelebt, kulturelle und politische Einflüsse für das eigene Land zu modifizieren, müssten die innerafghanischen Reformbestrebungen nicht mehr regelmäßig scheitern.