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Afghanistan plötzlich sicherer?

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Florian Weigand
26. Oktober 2015

Die Schonzeit für abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan ist vorbei. Der Flüchtlingsdruck führt in der deutschen Politik zu einer Neubewertung der Lage am Hindukusch, was Unsinn ist, wie Florian Weigand meint.

Bild: Getty Images/AFP/S. Marai

Da mag es wohl so manchem Afghanen den Atem verschlagen, wenn er im Flüchtlingsheim auf sein Handy blickt oder am Computer durch die Webseiten klickt. Deutschland will verstärkt diejenigen abschieben, deren Asylantrag abgelehnt wurde. So lautet die Schreckensmeldung, die über das Internet und bald auch die sozialen Medien verbreitet wurde. Bisher war das nicht der Fall: Rund 7200 Afghanen konnten bleiben, auch ohne amtlich bestätigtes Aufenthaltsrecht. Nun also aus der Traum – all die Gefahren auf der Reise, die Angst der zurückgelassenen Familie umsonst, alle die Hoffnungen auf Sicherheit zerstoben?

Sicher gibt es Asylbewerber, die – ohne wirklich gefährdet zu sein - ein Antragsverfahren anstrengen, um sich wirtschaftlich zu verbessern. Aber Hand aufs Herz: Wer wird im Ernst bezweifeln wollen, dass in Afghanistan reale Gefahr für Leib und Leben besteht? Man muss dort nicht politischer Aktivist sein, um Angst zu haben. Die Mitarbeit in einer ausländischen oder vom Ausland mitfinanzierten NGO, der Besuch einer Universität als Frau reichen vollkommen aus – oder auch nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein. Selbstmordattentäter schlagen überall zu und treffen auch den Gemüsehändler, wenn gerade ein Militärkonvoi vorbeifährt, der attackiert wird.

Florian Weigand ist Leiter der DW-Pakistan- und Afghanistan-Redaktionen

Berlin und EU unter Druck

Das weiß natürlich auch die deutsche Politik. Die Marschrichtung bei der Verschärfung des Bleiberechts geben jedoch immer mehr die realen logistischen und administrativen, nicht die ethischen Probleme vor. Deutschland wird des Zustroms der Flüchtlinge kaum noch Herr. Schnelle Lösungen - auch drastische – werden immer populärer. Vor diesem Hintergrund scheint es nur logisch, nicht nur sichere Herkunftsstaaten wie auf dem Balkan zu definieren, sondern in prinzipiell "unsicheren" Herkunftsstaaten – wie Afghanistan - wenigstens sichere Herkunftsregionen auszumachen, in die man leidlich beruhigt abschieben kann.

Doch wo sind diese? Die Taliban-Hochburgen im Süden und Osten des Landes fallen bereits weg, und auch im Rest des Landes bleiben nur einige mehr oder wenig große Enklaven übrig. Die Hauptstadt Kabul wird oft genannt, aber wir erinnern uns: Auch hier gelang es den Radikalislamisten, sogar das Parlament zu attackieren sowie mehrmals das hochgesicherte Nobelhotel "Serena" - und das nur neben der Vielzahl anderer Anschläge. Welcher unserer Entscheidungsträger würde Berlin als sicher definieren, wenn der Reichstag und das Hotel "Adlon" von Terroristen angegriffen würden?

Auch Kundus-Stadt galt lange Zeit als relativ sicher, vor Kurzem belehrten uns die Taliban mit ihrer Blitz-Einnahme des ehemaligen Bundeswehrstandorts eines Besseren. Bleibt Masar-i Scharif im Norden, wo noch ein Kontingent mit deutschen Soldaten stationiert ist. Aber auch vor den Toren dieser Stadt bewegen sich die Taliban bereits ungehindert. Kürzlich nahm eine Afghanin mit ihrem Handy heimlich ein Video auf, das einen Talib beim Untersuchen des Busses zeigt, in dem die junge Frau von Kabul nach – eben - Masar-i Scharif reist.

Kabul blockiert

Kein Wunder, dass sich gegen diesen wenig durchdachten Vorschlag auch in Deutschland zunehmend Widerstand regt. Nicht nur in der Opposition, auch die Bundesregierung scheint in der Flüchtlingsfrage tief gespalten. Und auch aus dem offiziellen Kabul kommt in dieser Frage nicht ein Funken Hilfe. Der zuständige Flüchtlingsminister Sayed Hussain Alemi Balkhi sagte im DW-Interview, die Europäer müssten die Situation in Afghanistan berücksichtigen und dürften daher keine Flüchtlinge abschieben.

Das ist die ultimative Bankrotterklärung der Regierung Afghanistans. Und eine versteckte Schuldzuweisung an den Westen, die gleichwohl nicht von der Hand zu weisen ist: Der Traum von einem funktionierenden Staat am Hindukusch hat sich auch deswegen nicht erfüllt, weil Hilfe- und Aufbauleistungen hinter den Erfordernissen zurückblieben.

Die Entwicklungshilfe wurde zurückgeschraubt, auch weil die Gefahr für ausländische Experten für die Arbeit vor Ort in manchen Gebieten unkalkulierbar wurde. Mehr Geld und Personal zur rechten Zeit wären nötig gewesen. Aber statt eine Friedensdividende einstreichen zu können, muss der Westen daheim wohl noch einiges mehr an Geld hinlegen: Für die Flüchtlinge, die wir mit dem Traum von Demokratie, Freiheit und Sicherheit über ein Jahrzehnt lang gelockt haben, und den sie in ihrer Heimat nun doch nicht leben können.

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