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America First: Oscar für "Green Book"

Jochen Kürten
Jochen Kürten
25. Februar 2019

Mit einer Überraschung endete die 91. Oscar-Nacht. Als bester Film wurde "Green Book" ausgezeichnet. Zwei Favoritenfilme hatten das Nachsehen. Eine gute Wahl, meint Jochen Kürten, aber nicht aus naheliegenden Gründen.

Bild: AFP/K. Winter

Das war der Oscar-Akademie dann wohl doch zu viel der Globalisierung. Ein Grieche oder ein Mexikaner auf dem Oscar-Thron? In der Königskategorie Bester Film waren mit "The Favourite" des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos und "Roma" des Mexikaners Alfonso Cuarón zwei Filme von nicht-englischsprachigen Filmemachern als eindeutige Favoriten ins Rennen gegangen. Jeweils zehn Oscar-Nominierungen hatten das hintergründige Königinnendrama des Griechen und die in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern schwelgende filmische Erinnerung an die 1970er Jahre in Mexiko-City im Vorfeld der Preisverleihung erobert.

Ist der Oscar etwa ein Welt-Filmpreis? Das werden sich einige der Akademie-Mitglieder gefragt - und eben anders entschieden - haben. Und das mag dann auch sicher mit dazu geführt haben, dass am Ende mit "Green Book" wieder einer jener typischen US-amerikanischen Filme ausgezeichnet wurde, die man gemeinhin als Oscar-tauglich, als Feel-Good-Movie bezeichnet. Erzählt wird in "Green Book" eine emotional anrührende Geschichte, sie ist toll gespielt, spricht ein gesellschaftlich-relevantes, aktuelles politisches Thema an (Rassismus) und kommt auch noch mit dem Stempel "nach wahren Ereignissen" daher.

Der Oscar ist kein globaler Filmpreis

Und: Es ist ein US-amerikanischer Film. Das rückt den Preis doch wieder ins rechte Licht. Zur Erinnerung: Der Oscar ist, so lange es ihn gibt, eine Auszeichnung für die englischsprachige Filmwelt. Warum sollte es denn sonst auch den Preis für den besten nicht-englischsprachigen Film geben? Dass die Akademie auch in anderen Kategorien immer wieder ein paar Filmschaffende außerhalb des eigenen Sprachraums nominiert, ist eigentlich nicht konsequent.

Dadurch entsteht aber in der breiten Öffentlichkeit bei vielen Menschen der Eindruck, es handele sich bei den Oscars tatsächlich um einen Filmpreis des internationalen Kinos. Das verstärkt natürlich die eigene Bedeutung und, das muss man neidlos anerkennen, es funktioniert! Die ganze Welt, auch viele seriöse Medien, hecheln den zahlreichen Meldungen rund um den Oscar, über Nominierungen im Vorfeld, Gala-Vorbereitungen, zurückgetretene Moderatoren, Stars auf dem Roten Teppich, nur so hinterher. In den USA, aber auch in Europa.

Jochen Kürten, DW-Kulturredakteur

Das hat inzwischen absurde Züge angenommen. Die Oscars, und vor allem die abendliche Gala, werden inzwischen mit einer Bedeutung aufgepumpt, dass man meinen könnte, hier werde alljährlich über alle gesellschaftlich relevanten Themen entschieden. Sicher, es ist gut und nachvollziehbar, dass auch Kulturschaffende Zeichen setzen, dass sie sich auf großer Bühne vor einem Millionenpublikum gegen Rassismus oder für Gleichberechtigung aussprechen, für Obama und gegen Trump, je nachdem, was gerade aktuell ist und diskutiert wird.

Doch die Oscars waren und sind in erster Linie immer schon eine bunte, große Show-Veranstaltung für die Happy Few aus Hollywood und das Publikum am Bildschirm. Nicht umsonst ist der Oscar-Abend für viele Firmen die wirkungsvollste Art, Werbung zu schalten, neue Roben und Schmuckstücke auf dem roten Teppich zu präsentieren. In den Werbeunterbrechungen der Live-Übertragung werden Millionen umgesetzt. Schon die Auslegung des Roten Teppichs vor dem Filmtheater der Oscar-Show, Tage vor der eigentlichen Veranstaltung, wird zum großen Medienthema mit Dutzenden Kamerateams.

Der Oscar wird filmästhetisch überschätzt

Ja, natürlich, es geht auch um Filme. Doch wenn man die Verleihung mal mit anderen Künsten vergleicht: Würde man einen Literaturpreis ernst nehmen, der englischsprachige Romane und Sachbücher, Lyrik und Theaterstücke auszeichnet - und in einer einzigen Kategorie das literarische Leben der ganzen übrigen Welt beachtet? Französische und russische, italienische, spanische und deutsche Literatur in einer Nebenkategorie abspeist? Wohl kaum. Und würde man darüberhinaus einen Preis ernst nehmen, der in seiner Hauptkategorie auch mal einen Roman, beispielsweise von Jonathan Franzen, mit einem von John Grisham vergleicht?

Die Oscars werden gnadenlos überschätzt. Nicht die Veranstaltung, die abendliche Gala-Übertragung. Das ist eine große, ungemein professionell gemanagte Show-Veranstaltung. Und überschätzt wird auch nicht die wirtschaftliche Bedeutung des Oscars. Mit prämierten Filmen lässt sich in Hollywood viel Geld verdienen. Nicht umsonst stecken Produzenten Wochen vor den Oscar-Nominierungen viele Millionen US-Dollars in Werbung und Marketing. Den Oscar in dieser Hinsicht zu überschätzen, wäre naiv.

Die Bedeutung der Oscars wird aber auch in filmästhetischer und in globaler Hinsicht überschätzt. Insofern darf man den Akademie-Mitgliedern in diesem Jahr fast dankbar sein, dass sie nicht "Roma" oder "The Favourite" mit dem Prädikat "Bester Film" ausgezeichnet haben, sondern den gefälligen Wohlfühl-Film "Green Book" aus Hollywood. Sonst könnte man noch zu der Meinung gelangen, der Oscar sage tatsächlich etwas aus über das Weltkino als Kunstform.

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