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Politik

Angst hat immer Konjunktur

8. Mai 2018

Weniger Gewalt, weniger Wohnungseinbrüche, mehr aufgeklärte Taten: Deutschland ist - statistisch gesehen - sicherer geworden. Trotzdem fühlen sich viel Menschen bedroht. Und das wird so bleiben, meint Marcel Fürstenau.

Köln Polizeiabsperrung
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Die von Bundesinnenminister Horst Seehofer präsentierte Kriminalstatistik 2017 hat theoretisch das Potenzial einer Beruhigungspille. In fast allen Bereichen sind die Zahlen rückläufig - ein paar ausgewählte Beispiele: minus 1,6 Prozent bei Mord und Totschlag; minus 3,9 Prozent bei sexuellem Missbrauch von Kindern; minus 22,7 Prozent bei Taschendiebstahl; minus 23 Prozent bei Wohnungseinbrüchen, minus 63,1 Prozent bei Verstößen gegen das Ausländerrecht. Seehofer hat also Recht: "Deutschland ist sicherer geworden."

Dem Innenminister ist aber auch zuzustimmen, wenn er keinen Anlass zur "Entwarnung" erkennen kann. Denn die Summe aller 2017 erfassten Straftaten ist trotz spürbaren Rückgangs auf den ersten Blick erschreckend: 5,76 Millionen. Das sind zwar fast zehn Prozent weniger als ein Jahr zuvor (6,37 Millionen), aber nicht nur gefühlt handelt es sich um eine gigantische Zahl. Allein deshalb wird die aktuelle Kriminalstatistik in der Praxis nur bedingt eine beruhigende Wirkung entfalten.

Auch über sinkende Staatsverschuldung spricht kaum jemand

Und damit ist man schon mittendrin im Dilemma: Je größer eine Zahl ist, desto schwieriger ist sie für die meisten zu verstehen. Ähnlich verhält es sich mit der Staatsverschuldung, die hierzulande bei fast zwei Billionen Euro liegt. Ein auf den ersten Blick unfassbarer Betrag. Wobei wohl nur die wenigsten zur Kenntnis nehmen, dass auch diese Zahl rückläufig ist. Doch im steten Strom der schlechten Nachrichten gehen die guten meistens unter.

DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Das ist kein neues Phänomen, aber im digitalen Medien-Betrieb mit seiner Kurzatmigkeit und Neigung zur Skandalisierung ist es schwieriger denn je, Menschen ihre Ängste zu nehmen. Experten wie der Kriminologe Christian Pfeiffer kennen und analysieren diesen Zusammenhang schon seit Langem. Ein Patentrezept, wie die gefühlte Unsicherheit gelindert werden könnte, hat aber noch niemand gefunden. Und die Lebenserfahrung lehrt uns, dass es auch kein Rezept geben wird.

Medien und Politik sind in der Pflicht

Dieser Befund darf aber nun nicht bedeuten, resigniert mit den Achseln zu zucken. Jeder Einzelne in Politik, Medien, Kultur und Gesellschaft kann seinen Beitrag zu weniger Aufregung und mehr Besonnenheit im Umgang mit Kriminalität jeglicher Art leisten. Für Journalisten bedeutet dass, zunächst die Fakten zu überprüfen und zuweilen weniger reißerisch zu berichten. Manche Politiker täten gut daran, nicht jedes Mal reflexartig schärfere Gesetze und mehr Überwachung zu verlangen.

Die gute Nachricht: Ein Umdenken hat schon begonnen. Dass mehr Polizisten besser sind als noch mehr Videokameras, lässt sich an den geplanten Neueinstellungen ablesen. Allein auf Bundesebene sind es laut Innenminister Seehofer 7500 Beamte. Wenn die Uniformierten dann auch noch mehr auf der Straße zu sehen sein werden als hinter Schreibtischen, wäre für das empfundene Sicherheitsgefühl schon eine Menge gewonnen. Und dennoch wird Eines immer bleiben: die Angst vor Kriminalität. Beides hat immer Konjunktur, weil es keine absolute Sicherheit gibt. Was man erwarten darf, ist ein verantwortungsvoller Umgang aller Beteiligten mit dem Phänomen insgesamt.                     

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