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Politik

Antisemitismus ernstnehmen

24. April 2017

Juden in Deutschland sehen sich durch wachsende Feindschaft bedroht. Das geht aus einem Expertenbericht hervor. Diese Sorgen müssen Politik und Gesellschaft zu denken geben, meint Christoph Strack.

Bild: picture-alliance/dpa

Es ist eine Bitte, ein Appell, eine Mahnung. Der vom Bundestag eingesetzte Expertenkreis Antisemitismus drängt auf einen stärkere Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Und viele Stimmen aus der jüdischen Gemeinschaft des Landes pflichten dem Gremium bei.

Ob zeitlich zufällig oder nicht: Die vom Bundestag eingesetzten Experten veröffentlichten ihren Bericht just am Shoah-Gedenktag Israels, an jenem Tag, an dem das Leben im Land für Minuten zum Stillstand kommt  im Gedenken an die sechs Millionen von Nazi-Deutschland ermordeten Juden. Auch an jenem Tag, an dem Sigmar Gabriel bei seinem ersten Jerusalem-Besuch als Außenminister die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchte und "jeden Tag erinnern" ins Gästebuch schrieb.

Jeden Tag erinnern… Wie notwendig diese Reflexion ist, das zeigen schon die vielen Polizisten vor jüdischen Einrichtungen in Berlin und anderen deutschen Städten. Das zeigen Meldungen über - ein exemplarischer Fall - den Schüler, der seine Berliner Schule verließ, weil er wegen seiner jüdischen Identität schikaniert und bedroht wurde. Deutschland kann stolz darauf sein, dass es heute, nicht zuletzt durch die jüdischstämmige Zuwanderung aus der Sowjetunion vor rund 20 Jahren, wieder aufblühendes jüdisches Leben an vielen Orten des Landes gibt, dass Synagogen neu gebaut werden, dass wieder Rabbiner und Kantoren im Land der Täter studieren und ordiniert werden.

DW-Hauptstadtkorrespondent Christoph StrackBild: DW

Die Experten des Bundestags thematisieren die Sorge der jüdischen Bevölkerung vor wachsenden antisemitischen Tendenzen und einem Mehr an Gewalt. Ob das aktuell statistisch nachweisbar ist (das Dokument lässt das konkret offen und sorgt nicht für neue Zahlen), ist das eine. Juden in Deutschland - das ist das andere - schildern aber in ihrer subjektiven Wahrnehmung eine verstärkte Verunsicherung oder Angst.

Der Bericht beklagt auch ein Defizit an Erhebungen zu muslimischem Antisemitismus, auch zu Judenfeindlichkeit unter Flüchtlingen. Bevor da nun populistische Reflexe kommen: Wenige Stellungnahmen setzen sich so sachlich mit dieser Frage auseinander wie Voten von jüdischen Repräsentanten und Organisationen in Deutschland. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, verweist darauf, dass die Stimmung im Herkunftsland vieler Flüchtlinge dafür verantwortlich sei, nicht deren Religion. Um so wichtiger sei umfassende Aufklärungsarbeit. Auch das muss zur Integrationsarbeit der deutschen Gesellschaft gehören. Integration ist Arbeit, das gilt auch hier. Man merkt auch: Deutschland steht beim Wissen darum noch fast am Anfang (auch deshalb gedeihen Vorurteile) und braucht da qualifiziertere Forschung.

Die Expertenkommission des Bundestages plädiert für einen Antisemitismus-Beauftragten, eine Bund-Länder-Kommission und breitere Projektförderung. Der Zentralrat der Juden sieht sich in seiner Forderung nach einem Antisemitismus-Beauftragten bestätigt. Ob ein solcher Beauftragter "mit Sitz im Bundeskanzleramt unabhängig von Legislaturperioden" sinnvoll und praktikabel ist, bleibt zu diskutieren und lässt sich auch bezweifeln. Diverse vergleichbare Beauftragte sind ans Parlament angebunden und finden aus dieser Funktion heraus auch medial und gesellschaftlich Aufmerksamkeit. Aber es geht im Grunde um einen zentralen Ansprechpartner auf Bundesebene für dieses Thema. Die Politik sollte diese Aufforderung ernstnehmen.

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