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Kommentar: Aufbruch im doppelten Sinne

Nina Werkhäuser22. November 2005

Angela Merkel ist Bundeskanzlerin - die erste Frau im Amt des deutschen Regierungschefs. Sie steht an der Spitze einer Großen Koalition. Damit verbinden sich Chancen und Risiken für Deutschland, meint Nina Werkhäuser.

"Ein neuer Anfang" steht in übergroßen Lettern auf dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Darunter prangt ein riesiges Bild von Angela Merkel, der ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Zuversichtlich und freundlich schaut sie drein, so als wollte sie sagen: Schluss mit dem Gejammer, jetzt wird angepackt. Ein neuer Anfang, ein Aufbruch - das täte Deutschland gut. Seit einem Jahr hat sich kaum etwas bewegt in der Politik. Hartz IV kam und Kanzler Schröder ging auf Raten, während das Land etwas orientierungslos vor sich hin dämmerte. Die Wähler hatten das glücklose Lavieren von Rot-Grün satt, trauten aber auch Schwarz-Gelb den großen Wurf nicht zu und entschieden sich für die Große Koalition.

Endlich eine Frau an der Spitze

Dass die nun von einer Frau geführt wird, ist ein Aufbruch im doppelten Sinne: Zum einen hat die neue Regierung mit ihrer komfortablen Mehrheit in Bundestag und Bundesrat die Chance, das Land weiter sozialverträglich zu modernisieren und den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Zum anderen wird in Deutschland nun endlich normal, was für andere Länder längst selbstverständlich ist: Auch eine Frau kann die höchsten politischen Ämter bekleiden - und sie kann dabei ebenso wie ein Mann Erfolg haben oder scheitern.

Respekt für Merkels Durchhaltevermögen

Angela Merkel hat auf ihrem Weg ins Kanzleramt unendlich viele Hürden überwunden, sie ist einige Male ins Trudeln geraten und noch öfter angegriffen worden. Dafür, dass sie trotzdem nicht aufgegeben hat, gebührt ihr Respekt und Anerkennung. Denn viele der Angriffe zielten nicht auf ihre politischen Ansichten, sondern hatten den Unterton: "Komm, Mädchen, jetzt steh nicht länger im Weg herum, sondern mach bitte den Männern wieder Platz." In den Unionsparteien haben einige mächtige Männer stets auf den nächsten Fehler Merkels gelauert, um sich selbst an ihr vorbei in höchste Ämter zu schieben. Und es war nicht zuletzt der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der es nach der Bundestagswahl zunächst unvorstellbar fand, sein Amt an eine Frau abzugeben - nun hat auch er die 51-jährige Ostdeutsche zur Bundeskanzlerin gewählt.

Ein echtes Experiment

Eine von Angela Merkels Stärken ist, dass sie die Machtspiele in der Politik kennt und keine Schonbehandlung erwartet, so wie auch sie ihre Gegner nicht schont. Sie kann zuhören, Kompromisse machen und hat den Anspruch, etwas zu verändern. Jetzt kommt es darauf an, ob die erste Bundeskanzlerin und ihre Minister sich zusammenraufen, um mehr als nur kleine Brötchen zu backen. Dass 51 Abgeordnete aus CDU/CSU und SPD Merkel ihre Stimme nicht gegeben haben, ist zwar kein Grund, schwarz zu sehen. Es zeigt aber, dass die Zweckehe der beiden Volksparteien ein echtes Experiment ist - mit Chancen und mit Risiken. Das sei "ein starkes Signal für viele Frauen, und für manche Männer sicherlich auch", kommentierte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Wahl Merkels zu ersten Bundeskanzlerin. Die Hauptsache ist, es wird ein starkes Signal für Deutschland daraus.

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