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Politik

Aufräumen im Energiewende-Keller

Fuchs Richard Kommentarbild App
Richard A. Fuchs
26. Oktober 2017

Nächste Etappe im Poker um eine Koalition aus Union, FDP und Grünen: die Energie- und Klimapolitik. Ideologisch trennen die Parteien hier Welten. Doch was unvereinbar erscheint, bietet auch Chancen, meint Richard Fuchs.

Bild: picture-alliance/chromorange

Es gibt nicht viel, worin CDU, CSU, FDP und Grüne in Sachen Energie und Klima übereinstimmen. Im Gegenteil: An zentralen Stellen liegen die möglichen Partner einer "Jamaika"-Koalition völlig über Kreuz. Die Grünen wollen raus aus der Verstromung klimaschädlicher Kohle und bis 2030 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr sehen. Konservative und Liberale wollen beides nicht - zumindest nicht so rigoros. Deutschland soll Autoland bleiben: Verkehr, Wärme und Strom sollen digitaler und effizienter werden, finden die Bürgerlichen. Die nationalen Klimaschutzziele wollen auch sie einhalten, nur eben "markwirtschaftlicher", ohne grüne Planwirtschaft, ohne Milliarden an Fördergeldern für Erneuerbare Energien. Das wiederum treibt die Grünen auf die Palme.

Kurz: Da passt nicht zusammen, was als schwarz-gelbe-grüne Politikehe passend gemacht werden soll. Doch das ist nur auf den ersten Blick so. Räumt man die ideologischen Sperrzäune beiseite, könnte die konservativ-liberal-grüne Melange Deutschlands Energie- und Klimaschutz durchaus voranbringen.

Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Wildwuchs bei Energiesteuern beenden

Beispiel: Energiesteuern. Deutschland ist gemeinhin Stolz auf seinen Ordnungssinn. Nur beim Thema Energiesteuern leistet sich das Land seit Jahren einen Wildwuchs. Hier passt vorne und hinten nichts mehr zusammen. Manche Steuern berücksichtigen den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid, andere tun das genaue Gegenteil. Der reduzierte Steuersatz für Dieselautos ist nur ein prominentes Beispiel. Und manche Steuern werden erhoben, obwohl niemand mehr weiß, warum eigentlich. Stichwort: Stromsteuer. Wiederum andere Steuern und Abgaben haben fatale Nebenwirkungen. So funktioniert Finanzierung der Energiewende derzeit einzig und allein über Aufschläge beim Strompreis. Daran ist nicht die Energiewende Schuld, sondern die bisherigen Regierungen. Die Leidtragenden sind vor allem arme Haushalte, von denen 330.000 im vergangenen Jahr ihre Stromrechnung nicht mehr begleichen konnten.

Darum, liebe "Jamaika"-Vielleicht-Koalitionäre: Hier gibt es viel zu tun. Hier sollte das Steuersystem einfacher, gerechter und ökologischer werden. Hier können Prioritäten umgeschichtet werden, ohne dass dies Bürger oder den Staat einen Cent mehr kosten muss. Höhere Steuern auf Diesel-Kraftstoff brächten nämlich staatliche Mehreinnahmen, mit denen der Wegfall der Stromsteuer gegenfinanziert werden könnte. Die Steuerlast der Bürger, die ja Autofahrer und Stromkunden gleichermaßen sind, wird verschoben, aber nicht erhöht. Das hilft dem Klima, weil es die richtigen Anreize für eine Politik setzt, die klimaschädliches Verhalten schrittweise teurer macht. Das macht die Energiewende sozial gerechter, weil Ärmere entlastet werden. Und ganz nebenbei wird so auch das Steuer-Durcheinander kleiner. Und in diesem Sinne könnte Schwarz, Gelb und Grün den Energiewende-Keller an vielen Stellen entrümpeln. 

Die Energiewende digitaler und europäischer machen

Viel erreichen könnten die vier Parteien auch in Sachen Digitalisierung - nicht zuletzt beim öffentlichen Nahverkehr. Die Einführung einer deutschlandweit-gültigen App, mit der Fahrten per Bus, Bahn oder Schiff einheitlich bezahlt werden können, wäre ein großer Schritt vorwärts für jeden einzelnen Bürger, und ein noch größer Gewinn fürs Klima. Bislang schreckt der Fahrkarten-Salat und lokal völlig unterschiedliche Tarif-Dschungel viele vom öffentlichen Nahverkehr ab. Und auch an anderer Stelle lassen sich Digitalisierung, Datenschutz und Klimaschutz zusammenbringen - Türöffner dafür könnte eine "Jamaika"-Regierung sein.

"Jamaika" könnte die deutsche Energiewende vernetzten - auch mit EuropaBild: picture-alliance/dpa/U. Anspach

Schwarz, Gelb und Grün könnten auch so manche Fehlentwicklung bei der Umsetzung der deutschen Energiewende beheben. Beispielsweise dadurch, dass dieses nationale Projekt endlich europäischer angepackt wird. Die Liberalen setzen sich für eine Wiederbelebung des europäischen Emissionshandelssystems ein - und für eine Ausdehnung der CO2-Abgaben auf die Sektoren Verkehr und Bau. Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU verschlingt der Bausektor. Den CO2-Ausstoß im Bausektor in Rechnung stellen hieße, Bauen teurer zu machen, Renovieren würde dagegen billiger. Auch das wäre, mit Blick auf zahllose leerstehende Immobilien in den Zentren kleiner und mittlerer Städte, wünschenswert. 

Die Grünen dürften mit solchen Ideen leicht an Bord zu holen sein. Aber auch die Konservativen werden mitziehen, weil eine europäische Antwort auf die Verteuerung von CO2 immer noch besser ist als die bisherigen nationalen Alleingänge. Die Europäische Kommission hat im vergangenen Winter ein Paket mit umfangreichen Vorschlägen vorgelegt, wie Europa die Energiewende gemeinsam gestalten kann. Darin geplant: ein europäischer Binnenmarkt für grünen Strom, der Schwankungen im Netz ausgleichen hilft - allerdings nicht mit dreckigen Braunkohle-Meilern, sondern mit intelligent vernetzten Offshore-Windparks, Biomasse-Kraftwerken oder Solarkraftwerken überall in Europa. Ein "Jamaika"-Quartett müsste diesen Ball nur aufnehmen und ihn konsequent weiterspielen. Die notwendigen Ideen liegen auf dem Tisch - vorausgesetzt, man erkennt sie.

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