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Bedingt abwehrbereit

16. November 2015

New York, Madrid, London und jetzt Paris: Deutschland hatte bislang Glück. Mitten in einer aufgeladenen Flüchtlingsdebatte geht es nun um mehr als nur um die Frage "Schaffen wir das?", meint Volker Wagener.

Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Mein Gott, wie viele IS-Fanatiker sind inzwischen unter den hunderttausenden Flüchtlingen in Deutschland? Geben Sie es ruhig zu: Auch sie hatten den Gedanken schon, da rangen Sanitäter und Ärzte in Paris noch um das Leben der Schwerverletzten. Er drängt sich ja geradezu auf, der Zusammenhang zwischen den islamistischen Mördern von Paris und den nach Deutschland strömenden Flüchtlingen, die vor allem aus Syrien kommen. War nicht an einem der Tatorte ein syrischer Pass gefunden worden, dessen Besitzer am 3. Oktober in Griechenland registriert und danach noch weitere Male entlang der Balkanroute aktenkundig geworden war? Genau so war es. Aber: Töricht wäre es, die Pariser Schüsse und die Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland so simpel zu verknüpfen.

Der Flüchtling, der getarnte Terrorist?

Dennoch: Nach dem Anschlag ist vor dem Anschlag. Unter dem Eindruck des Blutbades bei unseren Nachbarn wird "unser Flüchtlingsproblem" zunächst zur Fußnote. Die Unterbringung, die Kosten - alles Kleinkram im Vergleich zur Horror-Fantasie, dass unter uns unerkannte und zu allem entschlossene Terroristen sind. Der 13. November von Paris bringt neue Schärfe in die deutsche Innenpolitik. Und die Frage lautet mehr denn je: Muss Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik ändern? Muss sie nicht! Zumindest nicht im Kern.

Denn wer schon hier und asylberechtigt ist, kann nicht mehr zurückgeschickt werden. Aber wer noch kommt und Asyl sucht, muss nicht zwingend in Deutschland unterkommen. Es versteht sich von selbst, dass die Flüchtlingspolitik eine europäische sein muss und nicht allein Deutschland belasten darf. Diese Solidarität darf Deutschland erwarten, genauso wie Frankreich sich auf die Solidarität seiner Partner im Kampf gegen den Terror verlassen kann. Denn die Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan sind ebenso Opfer des IS-Terrors wie die, die am Freitag ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren haben.

DW-Redakteur Volker Wagener

Es bleibt natürlich ein Rest-Risiko, dass unter den Ankommenden getarnte Dschihadisten sind. Die aber brauchen nicht die Flüchtlingstrecks, um nach Europa zu kommen. Sie können immer und überall auftauchen. 420 sogenannte Gefährder haben die Behörden aktuell in Deutschland im Blick, in ganz Europa sind es mehr als 3.500. Der Schutz vor diesen Fanatikern kann nie vollkommen sein.

Vorsicht vor dem Heimkehrer!

Die größte Gefahr sind die so genannten Heimkehrer: Junge Deutsche oder Muslime aus Deutschland, die sich vom IS haben anheuern lassen und zum Teil hoch professionell im Kriegs- und Terrorhandwerk ausgebildet wurden. Viele von diesen sind inzwischen mit Tötungsauftrag wieder zurück in Europa - auch in Deutschland. Sie gilt es zu identifizieren und auszuschalten. Durchaus auch präventiv. Wer in Syrien oder dem Irak auch nur dabei war beim IS-Morden gegen Kurden oder Jesiden, ist per se schon straffällig geworden.

Die Bundespolizei verfügt über 3.000 neue Stellen, der Bundesnachrichtendienst über 225 und der Verfassungsschutz über 250. Das sind richtige Schritte. Maßnahmen, die auch die Freiheit des Einzelnen ab sofort einschränken werden. Aber das ist der Preis der Sicherheit. Wir brauchen mehr und nicht weniger Geheimdienstler. Das muss die liberale Gesellschaft aushalten.

Europa muss sich neu erfinden

Nach Paris und mitten im ungebrochenen Zustrom Hunderttausender Flüchtlinge - vor allem muslimischer - ist auch die EU unter Handlungsdruck: Solidarität mit Frankreich ist gut, verkümmert aber zu naiver Geste, wenn nicht bald der IS-Terror und die Fluchtbewegung aus der Nahostregion als Ursache-Wirkungs-Prinzip gesehen werden. Europa ist in einer Krise, nationalstaatliche Ego-Politik liegt im Trend. Das spielt dem IS in die Hände. Die Menschen, die nach Deutschland kommen, sind weit überwiegend dem Tod durch den IS entkommen. Sie zu schützen ist eine europäische, keine rein deutsche Herausforderung. Solange das nicht alle in der EU begreifen, verkommen die Solidaritätsadressen an die Franzosen zum hohlen Feiertagspathos.

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