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PolitikEuropa

Nicht mit Lukaschenko reden, sondern mit Putin

DW Kommentatorenbild - Kommentatorin Katsiaryna Kryzhanouskaya
Katsiaryna Kryzhanouskaya
18. August 2020

Weder die Verurteilung von Gewalt gegen Demonstranten noch EU-Sanktionen werden Lukaschenko dazu bringen, auf die Stimme des Volkes zu hören. Europa muss ihm seinen Verbündeten nehmen, meint Katsiaryna Kryzhanouskaya.

Die Präsidenten Putin (li.) und Lukaschenko beim gemeinsamen Ski-Ausflug im russischen SotschiBild: Reuters/S. Chirikov

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko ist es gewohnt, sich selbst zu betrügen. Als großer Eishockeyfan organisierte er jedes Jahr Turniere, bei denen sein Team - Oh Wunder! - immer wieder gewann. Ich war einmal bei einem solchen Spiel - die Mannschaft des Präsidenten führte mit gewaltigem Abstand, aber Lukaschenko selbst konnte lange Zeit kein einziges Tor erzielen. Und das, obwohl die eingeladenen Gegner - professionelle österreichische Eishockeyspieler - vor Lukaschenkos Schläger immer wieder flohen und sich ihr Torhüter irgendwann einfach von seinem Tor entfernte. Der Präsident brachte schließlich seinem Team den letzten Treffer ein - zur Erleichterung aller Spieler.

Ein Mann, der sich über einen solchen Sieg freut, kann sich offenbar auch selbst von einem Sieg bei den Präsidentenwahlen überzeugen - trotz eines vernichtenden Wahlergebnisses. Im Gegensatz zu den getäuschten Wählern, denen erneut stolze 80 Prozent der Stimmen für Lukaschenko präsentiert werden, weiß dieser aber, welch schlechtes Ergebnis er in Wirklichkeit erzielt hat. Um sich aber nicht als jemand, der beim Volk unbeliebt ist, zu fühlen, zieht er es vor, alles auf Intrigen angeblicher "Drahtzieher" aus dem Ausland zu schieben.

Vom Volk (nicht) geliebt

Es ist nur schwer vorstellbar, was Lukaschenko wohl empfand, als er am Montag in Minsk auf einer Bühne vor streikenden Arbeitern stand, genau vor denen, die er früher als seine Wählerschaft betrachtete, und diese ihm ins Gesicht riefen: "Hau ab!" Bei diesen Aufnahmen, die im Internet schnell verbreitet wurden, bekam ich Gänsehaut, wie Tausende andere Belarussen auch. "Hau ab!" schrien meine Landsleute, die sich jahrelang nur fürchteten. Sie hatten Angst zu sagen, wenn sie unzufrieden waren. Sie hatten Angst vor Entlassung, Druck und Verhaftung. Jahrzehntelang kaschierten die Belarussen ihre Furcht mit dem Satz "Politik interessiert mich nicht". Gleichzeitig erlebten sie Tag für Tag, wie diejenigen, die es wagten, die Staatsmacht zu kritisieren, mit Geldstrafen belegt, geschlagen oder inhaftiert wurden.

DW-Redakteurin Katsiaryna Kryzhanouskaya aus BelarusBild: Vera Kryzhanovskaja

Lukaschenko duzte respektlos die einfachen Leute wie auch seine Minister. Er bezeichnete die Belarussen als "Völkchen" und "Schafe". Genauso sprach er über ausländische Politiker: Über den damaligen deutschen Außenminister, den homosexuellen Guido Westerwelle, sagte Lukaschenko, er möge keine "Schwulen-Nester". Und den einstigen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, nannte er einen "Ziegenbock".

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte

Aber die Würde von Menschen kann man nicht ohne Ende mit Füßen treten. Und so ist es schon verwunderlich, dass kein Diktator dieser Welt aus dem Schicksal der anderen lernt. Ja, die Belarussen halten sich für eine tolerante, friedliche Nation und ihr Land für eine Insel der Ruhe mitten in Europa. Diese Überzeugung wurde durch Lukaschenkos Staatsideologie gerne gefördert. Denn was kann für ein autoritäres Regime besser sein, als die Menschen davon zu überzeugen, dass sie alles aushalten können.

Doch die Lügerei bei diesen Wahlen, bei denen die Zahl der für Lukaschenko abgegeben Stimmen nicht wie früher nur aufgebläht, sondern komplett aus der Luft gegriffen wurde, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Belarussen sind mit ihrer Geduld am Ende, und das zeigen sie dem Präsidenten persönlich.

Lukaschenko fürchtet keine Sanktionen

Wie aber kann der Westen den Wunsch der Belarussen nach demokratischer Veränderung unterstützen? Seien wir ehrlich: Lukaschenko fürchtet keine Sanktionen, die gezielt ihn und sein Gefolge treffen. Ein Mann, der seit Jahren seine Rivalen bei Wahlen und Andersdenkende konsequent in Gefängnisse wirft, ist Sanktionen gewohnt. Wenn er nicht mehr in die EU reisen darf, fährt er eben zum Skilaufen ins russische Sotschi.

Auch Aufrufe der EU nach dem Motto "Wir verurteilen und rufen auf" werden nichts bewirken. Einer Person, deren Wort genügt, um das Leben ihrer Kritiker zu zerstören, macht dies überhaupt keine Angst. Die Wahlen für illegitim erklären? Europa hat sich auch früher über gefälschte Abstimmungen in Belarus beschwert. Ja und? Davon hat das Land keinen anderen Präsidenten bekommen.

Wie Europa helfen kann

Das bedeutet aber nicht, dass die Europäische Union all dies lieber lassen sollte. Das allein wird aber nicht genügen. Man muss nicht mit Lukaschenko reden, sondern mit dem einzigen, der ihn unterstützen kann: mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ihm muss klargemacht werden, dass eine militärische Einmischung in Belarus für ihn zu einer Katastrophe würde - nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich, weil dann die EU-Sanktionen gegen den Kreml garantiert erweitert werden.

Dies kann zu der Unterstützung werden, die den Belarussen wirksam helfen kann. Weiter werden sie schon selbst sehen: Die Demonstranten auf den Straßen von Minsk und den anderen Städten haben längst gezeigt, dass sie in der Lage sind, sich dem Regime Lukaschenko friedlich zu widersetzen - einem Präsidenten, der nicht so unersetzbar ist, wie es vor kurzem noch schien.

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