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Gesellschaft

"Lass es keinen Ausländer gewesen sein"

Erkan Arikan Kommentarbild App
Erkan Arikan
31. Juli 2019

Was am Montag im Hauptbahnhof von Frankfurt am Main geschehen ist, hat die Menschen in Deutschland schockiert. In besonderer Weise betroffen sind jedoch alle, die ausländische Wurzeln haben, meint Erkan Arikan.

An diesem Bahnsteig stieß ein Mann aus Eritrea einen Achtjährigen und seine Mutter vor einen einfahrenden ZugBild: Imago Images/epd/H. Lyding

Ja, es hatte mich sehr berührt, als ich am Montag die Eilmeldung in den Agenturen las: "Mann stößt Mutter und Kind vor ICE". Mit Tränen in den Augen rasten mir 1000 Gedanken durch den Kopf. Doch der erste ist jedes Mal, wenn solche Nachrichten kommen: "Bitte lass es keinen Ausländer gewesen sein!"

Als Familienvater war ich in Gedanken bei den Angehörigen der Mutter und des Jungen. "Wie ist ein Mensch nur zu solch einer Tat fähig? Was treibt diesen Mann?", waren die weiteren. Und dann las ich in den ersten Agenturen, als mutmaßlicher Täter sei ein 40-jähriger Mann aus Eritrea verhaftet worden.

Als Migrant muss ich jede Tat eines Migranten verurteilen

Damit ist klar, wie es weitergeht: Das Motiv für die Tat tritt immer stärker in den Hintergrund. Stattdessen wird die Ethnie des mutmaßlichen Täters ausgeschlachtet. Als wenn die Herkunft eines Täters ausschlaggebend für seinen Charakter wäre. Und wieder muss ich mich mit Stammtischparolen auseinandersetzen. "Die Ausländer", "der Migrant", "die sind alle gefährlich", "alles potenzielle Attentäter".

Erkan Arikan leitet die Türkische Redaktion der DWBild: DW/B. Scheid

Der Pawlowsche Reflex geht dann weiter: Nun muss ich mich als einstmaliges Gastarbeiterkind und Deutscher mit türkischen Wurzeln wieder rechtfertigen. Die Gesellschaft erwartet von mir, dass ich die Tat eines Menschen mit ausländischen Wurzeln verurteile. Und sie stellt darüber hinaus jeden Menschen, der aus Eritrea oder einem anderen afrikanischen Land kommt, unter Generalverdacht. Davon, wie die rechten Populisten das Thema für ihre politischen Ziele ausschlachten, möchte ich gar nicht erst reden.

Mein nigerianischer Nachbar fährt seit gestern weder Bus noch Bahn. Ich habe ihn gefragt, warum er jetzt mit dem Auto zur Arbeit fährt: Zunächst habe er am Montag auf der Heimfahrt Unbehagen gefühlt - verächtliche Blicke, Getuschel unter den Fahrgästen. Dann kam ein rassistischer Spruch. Und so wurde aus Unbehagen ganz schnell Angst. Für mich absolut nachvollziehbar!

Auch noch Moslems!

Als ich am vergangenen Wochenende erstmals von den Geschehnissen im Düsseldorfer Rheinbad im Radio hörte - sie können sich meine Reaktion denken: "Bitte lass es keine Ausländer gewesen sein!" Und schon sagte der Nachrichtenmoderator: "Die Gruppe von 40 randalierenden Jugendlichen stammt mehrheitlich aus Nordafrika". In meinem Kopf wieder die Gedanken: "Auch noch Moslems!" Und wieder musste ich mich verteidigen. Wieder musste ich die Tat von 40 Halbstarken Jugendlichen verurteilen, weil die meisten von ihnen die gleiche Religion wie ich haben. Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem die Polizei sowie der Oberbürgermeister von Düsseldorf inzwischen sowohl die Angaben zur Zahl als auch zur Herkunft der Störenfriede korrigieren mussten.

Ich möchte klarstellen - und das vermutlich nicht zum letzten Mal -, dass ich jede grausame Tat, jeden Anschlag, überhaupt jede Straftat, die von Migranten, Menschen muslimischen Glaubens, Christen, Deutschen oder wem auch immer begangen wird, zutiefst verurteile. Eines muss in der deutschen Gesellschaft aber auch klar sein - denn ich bin davon überzeugt, dass viele diesen Punkt aus den Augen verlieren: Die schreckliche Tat, die in Frankfurt geschehen ist, wird irgendwann für die allermeisten wieder in Vergessenheit geraten. Doch der Hass und die rassistischen Anfeindungen, die viele Menschen mit ausländischen Wurzeln und auch ich selbst nach solchen Taten erleben - die werden uns weiterhin tagtäglich begleiten.

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