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Politik

Boko Haram und kein Ende in Sicht

Thomas Mösch
Thomas Mösch
30. Juli 2019

Vor zehn Jahren wandelte sich die radikale Sekte Boko Haram zur Terrororganisation und mordet bis heute weiter. Die Regierung in Abuja hat bisher wenig aus ihren Fehlern der Vergangenheit gelernt, meint Thomas Mösch.

Ein von Boko Haram zerstörtes Dorf im Norden NigeriasBild: DW/A.Kriesch

Zunächst sah es im Juli 2009 im Nordosten Nigerias nach einem Aufstand aus, der mit erprobten Rezepten zerschlagen werden sollte. Die Regierung unter dem muslimischen Präsidenten Umaru Musa Yar'adua ließ die Sicherheitskräfte los und am Ende waren mehrere Hundert Anhänger der Sekte tot, darunter auch ihr Gründer Muhammad Yusuf. Ein Video zeigte ihn kurz vor seinem Tod gefesselt in Polizeigewalt - hinterher erklärten die Sicherheitskräfte, Yusuf sei "auf der Flucht" erschossen worden. Glauben wollte das kaum jemand.

Damit aber schien Boko Haram als Problem erledigt. Gerade in Nordnigeria hatte diese Strategie schon mehrfach Erfolg gehabt - nicht jedoch dieses Mal. Nur zwei Jahre später war Boko Haram stark genug, den nigerianischen Staat mit großen Anschlägen in der Hauptstadt Abuja herauszufordern. Bis Ende 2014 hatte die Gruppe große Teile im Nordosten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht und ein Kalifat ausgerufen: Nigeria, oder wenigsten der Norden, sollte zu einem radikal-islamischen Staat werden, der sich jedem westlichen Einfluss entziehen würde. "Boko Haram" ("westliche Bildung ist Sünde") - so lautete das Credo von Muhammad Yusuf schon, als seine Gruppe noch eine kleine verschrobene Sekte im nordnigerianischen Busch war.

Wie konnte es soweit kommen?

Zum einen war Muhammad Yusuf offensichtlich nicht die einzige charismatische Person der Gruppe. Mit Abubakar Shekau übernahm ein noch radikalerer Nachfolger die Kontrolle und leitete den Wiederaufbau der Gruppe ein. Außerdem hatte nach dem Tod des muslimischen Präsidenten Yar'adua 2010 mit dessen Vize Goodluck Jonathan ein Christ aus dem Süden die Macht übernommen. Vielen Meinungsführern im muslimischen Norden passte dies überhaupt nicht. Eine Rebellengruppe, die dem neuen Präsidenten das Leben schwer machte, passte da gut ins Konzept. Es mehrten sich die Hinweise, dass Boko Haram Unterstützung aus einflussreichen Kreisen innerhalb Nigerias erhielt. In der Bevölkerung des Nordens hatte die Gruppe ohnehin viele Sympathien, da sie gegen Korruption und Selbstbereicherung agitierte. Diese Sympathien verspielten die Terroristen erst, als sie begannen, ganz normale Menschen auf Märkten, in Kirchen und Moscheen sowie Schulen zu töten, anstatt die verhassten Staatsorgane anzugreifen.

Thomas Mösch leitet die Haussa-Redaktion der DW

Auch international spielte die Entwicklung den Terroristen in die Hände. Radikale islamische Gruppen und Meinungsführer sind heute per Internet bestens vernetzt. Dort, wo sie ganze Regionen beherrschen, wie in Somalia, in Teilen des Nahen Ostens oder nach dem Sturz Gaddafis in Libyen, können sie Kämpfer und Anführer anderer Gruppen ausbilden. Der Sturz Gaddafis 2011 hat zudem eine große Anzahl moderner Waffen freigesetzt.

Die in Abuja herrschende Clique rund um Präsident Jonathan nahm die Bedrohung zunächst nicht ernst; zu unwichtig und abgelegen schien die Region am Tschadsee. Als 2015 der Muslim Muhammadu Buhari Amtsinhaber Jonathan an der Wahlurne besiegte, kam Hoffnung auf. Auch im vorrangig christlichen Süden Nigerias trauten viele dem ehemaligen General Buhari eher zu, den Terror zu beenden. Und tatsächlich erzielte die Armee Fortschritte, auch weil sie endlich mit den ebenfalls betroffenen Nachbarländern Niger, Kamerun und Tschad kooperierte.

Buhari hat viele Hoffnungen enttäuscht

Doch der Anti-Terrorkampf geriet bald ins Stocken - obwohl Boko Haram sich spaltete in einen Flügel um den bisherigen Anführer Shekau und einen, der dem "Islamischen Staat" die Treue schwor. Offensichtlich gelang es auch Buhari nicht, das nigerianische Militär so zu reformieren, dass Ausrüstung, Bezahlung und Motivation den Kämpfern von Boko Haram standhalten können. Außerdem muss sich die Armee mit immer neuen Gewaltausbrüchen in anderen Landesteilen herumschlagen. Für rund 130.000 Soldaten in einem Land mit 200 Millionen Einwohnern ist das eine kaum lösbare Aufgabe. Auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern ist wieder ins Stocken geraten. Insbesondere der Tschad braucht seine kampferprobte Armee zunehmend im eigenen Land.

Dagegen funktionieren die Netzwerke der Islamisten immer besser. Mit Mali und Burkina Faso gibt es inzwischen Rückzugsgebiete in weiteren Teilen der Sahelzone.

Internationale Unterstützung ist also wichtiger denn je. Doch sie darf sich keineswegs im Militärischen erschöpfen. Die größten Schwachstellen zeigt Nigerias Führung leider bei der ideologischen und wirtschaftlichen Bekämpfung des Terrors. Derzeit zeigt zum Beispiel die harte Reaktion auf die Proteste der schiitischen Minderheit, dass die Regierung in Abuja wenig aus den Anfängen von Boko Haram gelernt hat. Und im Nordosten Nigerias fehlt es immer noch an Unterstützung für Initiativen zum Wiederaufbau und zur Versöhnung. Hier muss auch die internationale Gemeinschaft weiter Druck ausüben und Hilfe anbieten, denn der Terror rund um den Tschadsee droht weiterhin, die gesamte Region zu destabilisieren.

Thomas Mösch Afrika-Redakteur mit besonderem Blick auf Westafrika, Sicherheit und Ressourcenpolitik
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