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Politik

Brasiliens Demokratie auf dem Prüfstand

Franca Tiebot Francis Kommentarbild App
Francis França
25. Januar 2018

Brasilien steuert auf turbulente Zeiten zu. Dem Berufungsurteil gegen Ex-Präsident Lula da Silva werden weitere juristische Auseinandersetzungen folgen, meint Francis Franca, die jede konstruktive Debatte verhindern.

Lula-Anhänger protestierten in Porto Alegre gegen das UrteilBild: Getty Images/AFP/C. de Souza

Die Entscheidung wurde lange erwartet: Nun ist Luiz Inácio Lula da Silva in zweiter Instanz wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt worden. Aber das wird Brasilien keine politische Klarheit bringen, im Gegenteil. Denn der Streit vor Gericht ist damit noch nicht zu Ende. Er wird inhaltliche Debatten im bevorstehenden Wahlkampf verhindern.

Das Urteil ist der bisherige Höhepunkt eines Korruptionsskandals, der Brasilien schon vier Jahre lang in Atem hält und in den Politiker jeglicher Couleur verwickelt sind. Lula verliert durch die Verurteilung viel Ansehen - vorbei sind die Zeiten, in denen Barack Obama ihn den “beliebtesten Politiker des Planeten“ nannte.

Sowohl Anhänger als auch Kritiker sehen sich bestätigt

Ganz egal, wie die Berufungsrichter in der südlichen Stadt Porto Alegre auch geurteilt hätten - es war vorherzusehen, dass ihre Entscheidung mehr politische, denn juristische Wellen schlagen würden. Dass so getroffene Urteil katapultiert Lula, der bislang in Umfragen zur Wahl 2018 der Favorit unter den Präsidentschaftsanwärtern war, aus dem Rennen und bringt ihn ins Gefängnis - falls Lulas Revision, die er bereits angekündigt hat, nicht erfolgreich ist. Auch ein Freispruch Lulas hätte für Furore gesorgt in dem von Richter Sérgio Moro geleiteten größten Antikorruptionsverfahren in der Geschichte Brasiliens.

Francis França, Leiterin der Brasilianischen Redaktion

Ironischerweise stellt das Urteil sowohl Kritiker als auch Anhänger Lulas zufrieden. Erstere, weil es ihnen als Beweis für die Korruptheit des 72-Jährigen gilt. Und letztere, weil sie sich darin bestätigt sehen, dass gegen Lula eine politische Hetzjagd stattfinde. Es gibt der aufgekratzten Menge, die Lula entweder bedingungslos liebt oder hasst, einfach noch mehr Munition.

Wer versucht, von einem neutralen Standpunkt aus die Fakten zu betrachten, sieht den Fall Lula nicht so klar. Es fehlen schlagkräftige Indizien, die eindeutig für seine Schuld oder Unschuld sprechen. Das Urteil gegen ihn steht nicht auf festem Boden. Bei den Korruptionsvorwürfen gegen den Ex-Präsidenten geht es um ein Penthouse in der Küstenstadt Guarujá. Dieses soll er sich aufwändig vom Baukonzern OAS modernisiert haben lassen. Lula ist zwar nicht der offizielle Besitzer des Hauses und hat auch niemals selbst darin gewohnt. Aber, so die Argumentation der Richter, er hatte es vor. Als Gegenleistung für die Modernisierung habe OAS Aufträge des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobas erhalten und Empfehlungen für dessen Direktorenposten aussprechen können.

Auch Lulas Unterstützer haben keine Erklärung dafür, wie so enge Verbindungen zwischen dem ehemaligen Metallarbeiter zu den großen Bauunternehmen noch in irgendeiner Form legitim sein können. Es sind Firmen, die unter seiner Regierung reich geworden sind, und die - so weiß man heute - mit der Politik ein effizientes System des gegenseitigen Austauschs von Gefälligkeiten aufgebaut haben.

Brasilien muss sich mit seinen wahren Problemen auseinandersetzen

Nach diesem Urteil der zweiten Instanz wird die Diskussion um Lulas Schuld oder Unschuld noch lange weiter gehen - sowohl vor Gericht als auch auf der politischen Bühne im Wahlkampf. Schade eigentlich. Viel besser wäre es, wenn Brasilien sich endlich mit seinem wahren Problem auseinandersetzen würde, nämlich dass eine Demokratie der Ämterpatronage betrieben wird. Entscheidungsträger vergeben politische Positionen nach Gutdünken an ihnen genehme Personen.

Letztlich konnte Lula regieren, weil er jeden Monat mit großzügigen Zahlungen Abgeordnetenstimmen kaufte. Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff wurde abgesetzt, weil sie bei diesem sogenannten Mensalão nicht mitspielte und den Parlamentariern nicht entgegenkam. Der aktuelle Präsident Michel Temer nimmt wiederum Milliarden aus den öffentlichen Kassen, um Stimmen für seine unpopulären Maßnahmen zu erkaufen, die die Ärmsten bestrafen und den Reichsten ihre Privilegien sichern.

Die brasilianische Demokratie ist seit Jahrzehnten Geisel eines Nationalkongresses, in dem die meisten Politiker nur Gesetze für sich selbst erlassen. Wer schon länger den Modus Operandi der Parlamentarier beobachtet, kann sich nur in Zynismus flüchten, frei nach dem Motto "So ist eben Politik". Wenn es so weit gekommen ist, stellt sich die Frage: Wozu sind diese Politiker überhaupt noch da?

Und während rationale Menschen darüber nachdenken, wie man einen besseren Kongress aufbauen und ihm genauer auf die Finger schauen könnte, hat ein Großteil der Bevölkerung schon längst resigniert und das Vertrauen ins Establishment verloren. Populistische und autoritäre Ansätze und Versprechungen, das Land wieder voranzubringen, haben dagegen Hochkonjunktur. Genau so implodieren Demokratien. Brasilien steuert auf turbulente Zeiten zu. Und es ist nicht allein.

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