Brexit unterm Weihnachtsbaum
Dieser Tag im politischen London war ein Stück aus dem Tollhaus. Noch am Morgen hatte Theresa May ihren loyalen Minister Michael Gove durch die TV Studios gejagt, um zu versichern, die Abstimmung über den Brexit-Deal werde wie geplant am Dienstag stattfinden. Am Mittag bekräftigte eine Downing Street Sprecherin die Ankündigung. Und eine halbe Stunde später zog Theresa May die Reißleine und verschob die Abstimmung, die für sie zu einer katastrophalen Niederlage geworden wäre. Wahrscheinlich schickt sie die Abgeordneten jetzt mitsamt dem Brexit-Vertrag in die Weihnachtspause. Frohe Festtage!
Einfach Zeit gewinnen
Es sieht inzwischen so aus, als ob May alle Zeit nutzen will, die ihr die Regeln noch erlauben. Sie lässt das Parlament also auf kleiner Flamme köcheln in der Hoffnung, dass über Weihnachten bei Punsch und Truthahn die Angst vor einem harten Brexit steigt und der Widerstand gegen ihren Deal schwächer wird.
Sie hat schon während der Brexitverhandlungen verzögert, gemauert und Entscheidungen auf die lange Bank geschoben, wo es nur ging. Theresa May ist da inzwischen Wiederholungstäterin. Die Gespräche in Brüssel kamen nicht voran, weil London vor allem mit sich selbst verhandelte. Am Ende hat das der britischen Seite eher geschadet als genutzt.
In Brüssel schütteln sie nur die Köpfe angesichts des absurden Theaters in der britischen Hauptstadt. Theresa May hat den Rest ihrer Glaubwürdigkeit verspielt. Man meint sich in einen Sketch von Monty Python versetzt, wo der Wahnsinn Methode hat. Am Ende soll es doch noch der beste Brexit aller Zeiten werden, so verspricht May erneut im Parlament. Für die frohe Botschaft fanden sich kaum noch Abnehmer.
Aufgehoben ist nicht aufgeschoben
Das Gezocke der Premierministerin kann allerdings nach hinten losgehen. Sie kehrt in dieser Woche nach Brüssel zurück, und wird erneut verlangen, den irischen "Backstop", die Rückversicherung gegen eine harte Grenze auf der grünen Insel, aus der Einigung zu entfernen. Sie wird sich wieder eine blutige Nase holen und kann froh sein, wenn ihr niemand den 585 Seiten dicken Scheidungsvertrag hinterher wirft.
Danach jedoch muss sie in London einmal mehr Farbe bekennen und ihre Niederlage einräumen. Sie hätte dann wirklich alles versucht, um die Forderungen der Brexiteers zu erfüllen. Aber wird das genügen, um den Widerstand bei den Tories und Teilen der Opposition zu überwinden? Wahrscheinlich ist doch eher, dass bei vielen der Zorn zunimmt.
Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon nannte Mays Aktion eine verabscheuenswerte Feigheit. Theresa May hat damit ihr Amt und den Machtanspruch ihrer Konservativen vorübergehend gesichert. Aber das Urteil über sie ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Machterhalt auf Kosten des Landes
Das fatale an Theresa Mays Rückzieher ist, dass sie damit Zeit verschwendet, die nötig wäre, um die letztendliche Entscheidung über den Brexit zu fällen. Oder um ihn noch zu revidieren, denn die sauberste Lösung aus der politischen Sackgasse wäre ein zweites Referendum.
Die Premierministerin spielt damit den Phantasten in ihrer eigenen Partei in die Hände, die inzwischen von einem harten Brexit nach WTO Regeln schwafeln, einschließlich Notfall-Regelungen mit der EU. Schließlich sollen in Dover irgendwie noch Laster rollen. Das Ganze ist ein Hirngespinst mit absehbar verheerenden wirtschaftlichen Folgen.
Die Premierministerin stellt Parteiraison und Machterhalt über das Gemeinwohl ihres Landes. Politik hat immer auch mit Strategie zu tun, und damit das Richtige im entscheidenden Moment zu tun. Was Theresa May hier vorführt, um ihren Kopf zu retten, ist eine politische Kapitulationserklärung. Ein Schauspiel, dem man mit Abscheu und Entsetzen folgt.