Der Bundesliga-Klassiker zwischen Borussia Dortmund und Schalke bot ordentlichen Fußball. Ein echtes Revierderby war es unter den Bedingungen der Corona-Pandemie aber nicht, findet Stefan Nestler. Die Emotionen fehlten.
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"Es hat etwas Surreales", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bereits vor dem Anpfiff des 96. Bundesliga-Revierderby von Borussia Dortmund gegen den FC Schalke 04, dem ersten Spiel nach der Corona-Pause. "Die Straßen rund ums Stadion sind leer. Es ist schon gewöhnungsbedürftig." Und das sollte sich auch nicht ändern, als der Ball rollte. Die Dortmunder Arena, wo unter normalen Umständen mehr als 80.000 Zuschauer für Gänsehautstimmung gesorgt hätten, wirkte wie ein Kreisliga-Platz im nahen Sauerland, wenn auch mit deutlich größeren Tribünen. Wobei dort sicher mehr Stimmung herrscht, als an diesem Nachmittag im BVB-Stadion. Hier ein Ruf, dort ein Schrei, hin und wieder Applaus von den Auswechselspielern und Betreuern - mehr nicht.
Zunächst wie paralysiert
Auch die Spieler wirkten angesichts der fehlenden Derby-Atmosphäre zunächst wie paralysiert. Erst nach 20 Minuten löste sich die Verkrampfung. Nach 90 Minuten stand dann ein klarer und leistungsgerechter 4:0 (2:0)-Erfolg der Dortmunder gegen überforderte Schalker. Beide Teams machten im Grunde da weiter, wo sie vor zwei Monaten aufgehört hatten: Der BVB holte den achten Sieg im neunten Rückrundenspiel und festigte damit Tabellenplatz zwei hinter den Bayern, Schalke blieb auch im achten Spiel hintereinander sieglos.
Wäre es bei vollem Stadion anders gelaufen? Vielleicht. Möglicherweise hätten sich die Schalker mehr gegen die Niederlage gestemmt. Oder die Dortmunder hätten sich, angepeitscht von den eigenen Fans, in einen regelrechten Rausch gespielt und die Schalker noch mehr gedemütigt. Aber das ist reine Spekulation.
Corona-gerechter Torjubel
Was bleibt von diesem, betrachtet man die Umstände, sicher ungewöhnlichsten aller bisherigen Revierderbys? Ein Schmunzeln über den Torjubel des BVB-Stürmers Erling Haaland, der sich nach seinem Treffer zum 1:0 an die Corona-Vorschriften hielt und mit Distanz zu seinen Teamkollegen einfach mit dem Oberkörper hin und her wackelte. Wie man überhaupt sagen muss, dass alle Beteiligten sichtbar bemüht waren, das DFL-Hygienekonzept nicht bloßzustellen, wo doch gewissermaßen die ganze Welt zuschaute. Ein weiteres Schmunzeln über Thorgan Hazard, der nach seinem Treffer zum 3:0 vor der leeren Südtribüne posierte, als stünde dort wie sonst die "gelbe Wand" der eigenen Fans. Oder auch über das BVB-Team, das an gleicher Stelle nach dem Abpfiff - mit ausreichend Abstand zwischen den Spielern - "La Ola", die Welle machte.
Emotionslos
Vor allem aber bleibt das Gefühl, dass die Gefühle fehlten. "Die Rivalität verändert sich ja nicht, weil keine Zuschauer dabei sind", hatte Schalkes Trainer David Wagner vor dem Anpfiff des Derbys erklärt. Das Spiel zeigte jedoch, dass dies nicht ganz stimmt. Denn die Rivalität lebt auch davon, dass sie von den Fans im Stadion transportiert wird. Dem kann sich normalerweise kein Profi entziehen. Die Emotionen springen von den Rängen auf den Platz über.
Diesmal standen sich auf dem Rasen einfach nur zwei Fußballmannschaften gegenüber, deren Spieler froh waren, nach der Corona-Zwangspause wieder ihrem Beruf nachgehen zu dürfen. Ein richtiges Revierderby war es nicht - wegen der gespenstischen Atmosphäre. Aber damit wird der Fußball wohl noch eine ganze Weile leben müssen. Und das nicht nur in Dortmund.
Mutter aller Derbys: Schalke 04 gegen Borussia Dortmund
Bereits 100 Mal gab es das Bundesliga-Derby zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund. Der Ruhrgebietsklassiker produziert immer wieder denkwürdige Momente.
Bild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance
Gemeine Fußangel
Das Ruhrpott-Derby hat schon viele kuriose Momente geliefert - im 100. Bundesliga-Duell kommt einer dazu: Nach seinem Tor zum 1:1 wird Marius Bülter von der Teleskopstange der Kamera rüde zu Fall gebracht. "Ich war auch überrascht, dass das Ding da steht", sagt der Schalker Stürmer. "Ich habe es noch gut gelöst und gut abgefangen." Endergebnis: 2:2, Bülter unverletzt, Kamera-Angel kaputt…
Bild: Jürgen Fromme/firo Sportphoto/picture alliance
Nebelderby
Im November 1966 pfeift Schiedsrichter Gerd Henning das Revierderby in Dortmund trotz dichten Nebels an. "Ich bin immer, wenn der Ball in den Nebel geschossen wurde, hinterhergelaufen", sagt der Pfeifenmann später. "Das war anstrengend, aber okay." Der BVB hat den besseren Durchblick und gewinnt 6:2. Drei Treffer steuert Lothar Emmerich bei, bis heute Derby-Rekord in einem Spiel.
Bild: Imago/Horstmüller
Hundebiss
Das Derby in Dortmund im September 1969 sorgt für eine der kuriosesten Szenen der Bundesliga-Geschichte: Ein Hund des Sicherheitsdienstes beißt den Schalker Spieler Friedel Rausch in den Allerwertesten. Der Dortmunder Timo Konietzka sagt später zu Rausch: "Ich werde für immer der mit dem ersten Bundesliga-Tor sein. Und du bist für immer der mit dem Hund."
Bild: picture-alliance/dpa
Kopfball des Keepers
Jens Lehmann (4.v.l.) gelingt im Dezember 1997 in Dortmund ein Last-Minute-Tor der besonderen Art. In der Schlussminute gleicht der nach vorne geeilte Torwart der Schalker per Kopf zum 2:2 aus. Lehmann gehört zu den Spielern, die Derbys für beide Klubs gespielt haben: elf für Schalke, neun für Dortmund. Rekord für Wechsler zwischen den Erzrivalen.
Bild: ullstein bild - Firo
Feindbild Möller
Beim Duell im September 2000 in Dortmund entlädt sich der Zorn der BVB-Fans auf Andreas Möller. Auf Bannern und mit Sprechchören beschimpfen sie den Mittelfeldstar, der vor der Saison zum Erzrivalen gewechselt ist, als Verräter. Möller bleibt cool und macht ein Riesenspiel. Schalke gewinnt 4:0 - und am Ende singen die Gästefans: "Ohne Möller habt ihr keine Chance."
Bild: picture-alliance/S. Simon
Elfmeterkiller
Frank Rost ist der Mann des Derbys im Januar 2004 in Dortmund. Der Schalker Torwart pariert gleich zwei Strafstöße, erst einen Foulelfmeter von Jan Koller, dann einen Handelfmeter von Torsten Frings. Rost bereitet damit den Boden für den 1:0-Sieg der Gäste, den Ebbe Sand mit seinem Tor kurz vor Schluss sicherstellt.
Bild: picture-alliance /dpa/F.-P. Tschauner
Längste Serie
Auch das Derby im Dezember 2004 in Dortmund wird durch einen einzigen Schalker Treffer entschieden, diesmal durch Ailton (r.). Zum zwölften Mal in Folge bleiben die Königsblauen damit in Bundesliga-Duellen gegen den BVB ungeschlagen - bis heute die längste Derby-Erfolgsserie.
Bild: picture-alliance/Ulmer/B. Hacke
Spielverderber
Einen ganz bitteren Tag erleben die Schalker im Mai 2007. Am vorletzten Spieltag verspielen sie die mögliche Meisterschaft - ausgerechnet beim Derby in Dortmund. Alexander Frei und Ebi Smolarek (2.v.r.) treffen für den BVB. Die Schalker Christian Pander (l.) und Fabian Ernst (2.v.l.) sind bedient.
Bild: picture-alliance/Ulmer/L. Coch
Aufholjagd
Alles scheint klar beim Derby im September 2008 in Dortmund. Nach einer Stunde führt Schalke mit 3:0 - und kaum jemand hält für möglich, was dann folgt: Nach dem Anschlusstreffer des BVB fliegen innerhalb von fünf Minuten zwei Schalker vom Platz. Dann das 2:3 und schließlich sogar noch der 3:3-Ausgleich: durch ein Elfmetertor von Alexander Frei (Mitte) in der vorletzten Minute.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Scheidemann
Hochrisikospiele
Immer wieder geraten gewaltbereite Anhänger beider Vereine bei den Derbys aneinander. So gibt es im Oktober 2012 in Dortmund und auch ein Jahr später in Gelsenkirchen schwere Krawalle. Beide Vereine drohen damit, künftig Derbys vor leeren Gäste-Kurven zu spielen. So weit kommt es dann jedoch nicht.
Bild: picture alliance/Sven Simon
Batman und Robin
Pierre-Emerick Aubameyang (l.) bringt den BVB beim Duell im Februar 2015 in Dortmund mit 1:0 in Führung. Nach dem Tor verwandelt er sich in Batman, Marco Reus in Robin. Den Torjubel mit Maske haben sich die beiden zwei Tage vor dem Derby ausgedacht. "Wir versuchen immer, ein bisschen Spaß reinzubringen. Das tut gut", erzählt Reus hinterher. Dortmund gewinnt 3:0.
Bild: Lars Baron/Bongarts/Getty Images
Rot für den Schiedsrichter
Schalkes Maskottchen "Erwin" zeigt Schiedrichter Felix Zwayer nach dem Derby im April 2017 in Gelsenkirchen die Rote Karte. Zwayer hat in der Nachspielzeit den Schalkern einen Handelfmeter verwehrt. Schalkes protestierender Trainer Markus Weinzierl (3.v.r.) muss auf die Tribüne. Die Partie endet 1:1. "Erwin" kommt mit einer Ermahnung durch den DFB davon.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Kirchner
Hitziges Duell nach Abpfiff
Das Derby im November 2017 ist eines der spektakulärsten: Nach 4:0-Halbzeitführung fängt der BVB in der Nachspielzeit noch den 4:4-Ausgleich. Dass die Schalker diesen gefühlten Sieg feiern, passt BVB-Urgestein Nuri Sahin (r.) gar nicht. Es kommt zu bösen Worten und einer Rangelei. Obwohl das Spiel schon beendet ist, sehen Sahin und Schalke-Torwart Ralf Fährmann (2.v.r.) noch die Gelbe Karte.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Kirchner
Abstiegskandidatensieg
42 Punkte trennen die beiden Teams vor dem Derby im April 2018 in Dortmund. Der BVB ist noch mit dabei im Titelrennen, Schalke spielt gegen den Abstieg. Doch auf dem Rasen präsentieren sich überraschend die Gäste meisterlich. Nach zwei Roten Karten gegen die Dortmunder Reus und Wolf steht am Ende ein 2:4 (1:2) auf der Ergebnistafel. Und die Schalker feiern in Dortmund.
Bild: Reuters/W. Rattay
Geisterspiele
Wegen der Corona-Pandemie steigt das Derby in Dortmund im Mai 2020 vor leeren Rängen und unter strengem Hygienekonzept. Haaland (l.) jubelt nach seinem Treffer zum 1:0 mit Abstand zu seinen Teamkollegen. Am Ende gewinnt der BVB klar mit 4:0. Auch die beiden folgenden Derbys werden vor (zumindest nahezu) leeren Rängen gespielt. Nun sind die jeweiligen Stadien natürlich wieder ausverkauft.