Nach der Einigung in Belgien ist die Blamage der Europäischen Union als nicht mehr ernstzunehmender Akteur in Welthandelsfragen vielleicht noch gerade abgewendet worden. Und all das ausgerechnet im Umgang mit Kanada, einem den Europäern vergleichsweise entgegenkommenden Partner.
Für ordnungspolitische Puristen war die Sache von Anfang an ganz einfach: Handelsfragen liegen in der EU traditionell auf der europäischen und eben nicht der nationalstaatlichen Ebene. Die Kommission führt die Verhandlungen, und die parlamentarische Kontrolle findet im Europaparlament statt. Wie in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten auch, sitzen in Straßburg ebenfalls all die grünen, linken und rechten Freihandelskritiker und setzen Änderungen durch. Wo also liegt das Problem?
Von einem "technokratischen Durchpauken von Handelsverträgen", wie der sozialdemokratische deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dieses rein europäische Vorgehen genannt hat, konnte jedenfalls keine Rede sein.
Das Unbehagen ist nun einmal da
Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Denn Gabriel hatte ein verbreitetes Unbehagen aufgegriffen, die EU entscheide über die Köpfe der Menschen hinweg. Auch wenn bei der Äußerung des Ministers Parteipolitik eine große Rolle gespielt hat und auch wenn dieses Empfinden letztlich unberechtigt ist: Das Gefühl ist nun einmal da, und die EU muss damit umgehen. Deutschland und andere Staaten haben als Konsequenz - allerdings viel zu spät - dafür gesorgt, dass nationale und regionale Parlamente ebenfalls beteiligt wurden.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass damit die empfundene Legitimität des CETA-Abkommens deutlich erhöht wird - aber eben auch die Kompliziertheit des Verfahrens. Das haben die zurückliegenden Tage mehr als deutlich gemacht.
Das führt zu der ernüchternden Erkenntnis: Entweder handelt die EU effizient und setzt sich dem Vorwurf der Intransparenz aus, oder sie setzt auf maximale Beteiligung, wird aber damit gegebenenfalls handlungsunfähig.
Die EU muss Globalisierung gestalten, nicht verhindern
Theoretisch könnte jedes europapolitische Thema solche Grundsatzdebatten über Entscheidungsverfahren aufwerfen. Dass es aber gerade bei CETA geschah, ist kein Zufall. CETA und TTIP, das geplante Abkommen mit den USA, stehen für Globalisierung, und Globalisierung hat in Europa inzwischen einen schlechten Ruf. Mit ihr verbinden viele Menschen Unsicherheit, Abstieg, Identitätsverlust.
Deshalb kann die EU auch bei den Verhandlungen vorgehen, wie sie will: Der Widerstand gegen jede Form von Freihandelsabkommen wird größer. Die EU wird zunehmend mit der Erwartung konfrontiert, sie möge die Bürger vor der Globalisierung schützen, und wenn nicht, habe sie ihren Sinn verloren. Auch deshalb der Zulauf zu Parteien, die beides infrage stellen: die Europäische Union und die Globalisierung.
Doch wer den freien Austausch behindern will, muss wissen, dass er die Bürger so nicht vor Veränderungen bewahren kann. Bei CETA und TTIP geht es letztlich darum, dass die westlichen Staaten zusammen gemeinsame Standards setzen, an denen weltweit niemand vorbeikommt. Schaffen sie das nicht, werden es andere tun, vor allem China. Solche Standards können erst recht nicht im europäischen Interesse liegen.
Gerade auch in Deutschland hat die Kritik an CETA und TTIP Konjunktur. Schon das ist widersprüchlich: Denn wenn es ein Land auf der Welt gibt, das von der Globalisierung enorm profitiert, dann ist es Deutschland.
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