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Comeback eines eigensinnigen Reformers

Johann Bernd Kommentarbild App
Bernd Johann
1. Juni 2015

Ex-Präsident Michail Saakaschwili soll als Gouverneur in Odessa Reformen durchsetzen. Doch es ist fraglich, ob sein in Georgien erprobtes Modell einer Modernisierungsdiktatur für die Ukraine taugt, meint Bernd Johann.

Petro Poroschenko (li.) und der neu ernannte Gebietsgouverneur Michail Saakaschwili (2. v. li.) in OdessaBild: Imago/Mykola Lazarenko/Ukrainian presidential press service

Experten aus dem Ausland sind in der Ukraine gefragt. Auf sie warten Beraterjobs und Schlüsselposten in Politik und Verwaltung. Weil sie von außen kommen, gelten sie als unbelastet von der Clan- und Vetternwirtschaft, die in der Ukraine seit Jahren jeden reformpolitischen Ansatz verhindert. Drei Ministerien - für Wirtschaft, Finanzen und Gesundheit - werden bereits von Fachleuten aus dem Ausland geleitet. Sie erhielten dafür die ukrainische Staatsbürgerschaft. Den Nachweis, dass sie Reformen voranbringen, müssen die neuen Minister erst noch bringen.

Wie man Filz und Korruption bekämpfen kann, das hat ein weiterer Neuzugang in der ukrainischen Politik bereits bewiesen: Am Wochenende hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den früheren georgischen Staatschef Michail Saakaschwili auf den Gouverneursposten von Odessa berufen. Als Berater war Saakaschwili schon länger in der Ukraine aktiv. Auch er wurde nun eingebürgert und ist ab sofort der wohl schillerndste und vor allem umstrittenste Politiker-Neuling der Ukraine.

Reformerfahren, aber autoritär

Zehn Jahre war Saakaschwili Präsident in Georgien. Seine Bilanz ist höchst zwiespältig. Bis heute polarisiert er die Georgier. Und auch im Westen wird er kritisch gesehen. Entschlossen und radikal modernisierte er Politik und Verwaltung der ehemaligen Sowjetrepublik. Mit Erfolg baute er vor allem Polizei und Steuerbehörden um, die bis dahin ein Hort der Korruption waren. Saakaschwili wurde demokratisch gewählt. Anfangs war er sehr beliebt. Doch er führte das Land immer autoritärer. Der Begriff der Modernisierungsdiktatur machte die Runde. Aufkeimende Proteste ließ der Präsident rigoros niederschlagen, Oppositionelle vor Gericht stellen.

Am Ende schied Saakaschwili aus der georgischen Politik, weil ihn die meisten Menschen nicht mehr wollten. Inzwischen wird er wegen Amtsmissbrauchs und Unterschlagung mit internationalem Haftbefehl gesucht. Dem gegen ihn in Tiflis eingeleiteten Strafverfahren entzieht er sich durch Abwesenheit. Nun wird die Ukraine quasi sein Exil, komfortabel ausgestattet mit einem Gouverneursposten.

Bernd Johann leitet die Ukraische Redaktion der DW

Saakaschwilis Comeback in der Ukraine verärgert nicht nur Georgien. Konflikte entstehen auch mit Russland. Saakaschwili trägt eine Mitverantwortung für den Krieg zwischen Georgien und Russland im Jahr 2008. Durch seinen provokativen Waffeneinsatz in Abchasien und Südossetien trug er ganz wesentlich zu einer Eskalation des Konfliktes bei. Klug hat er damals nicht gehandelt, denn er lieferte Russland den Vorwand für einen völkerrechtswidrigen Militäreinmarsch in Georgien.

Poroschenkos dünne Personaldecke

Ist Saakaschwili also der richtige Mann für Odessa? Seine Leistungen als Radikalreformer in Georgien mögen ihn für den neuen Job qualifizieren. Doch Odessa ist nicht Georgien. Und als Gebietsgouverneur verfügt Saakaschwili über weit weniger Kompetenzen als ein Staatspräsident. Ein Politiker des Ausgleichs zwischen verschiedenen Interessen war der eigensinnige Saakaschwili nie. Seine extrem kritische Haltung gegenüber Russland stößt bei vielen Ukrainern auf Sympathie. Aber sie könnte auch die Spannungen zwischen proukrainisch und prorussisch eingestellten Bevölkerungsgruppen im multiethnischen Odessa vertiefen. Die politische Lage in der Hafenstadt am Schwarzen Meer ist brisant seit dem verheerenden Brand im Gewerkschaftshaus mit mehr als 40 Toten vor gut einem Jahr. Die Umstände der Tragödie sind bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Saakaschwili wird in Odessa vor schwierigen Aufgaben stehen. Poroschenko hat ihn wohl vor allem deshalb ausgewählt, weil er den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft aufnehmen will. Die Entscheidung für einen Quereinsteiger aus dem Ausland macht deutlich, wie dünn die Personaldecke der Ukraine ist. Dem bisherigen Gouverneur von Odessa, Ihor Palitsa, wollte Poroschenko offenbar nicht mehr vertrauen. Denn Palitsa galt als Gefolgsmann des eigenmächtigen ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomoiski, den Poroschenko erst vor kurzem als Gebietschef von Dnipropetrowsk abgesetzt hatte.

Durch neue und ihm loyale Gouverneure will Präsident Poroschenko im Süden der Ukraine seine Macht stärken. Doch ob ein umstrittener Quereinsteiger wie Saakaschwili ihm tatsächlich dabei helfen kann, die Probleme der Ukraine zu lösen, ist mehr als fraglich.

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