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Politik

Von halbvollen und halbleeren Gläsern

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
15. Dezember 2019

Die internationale Klimapolitik steht schwer unter Druck. Und machte auf ihrem alljährlichen Treffen, diesmal in Madrid, doch so weiter wie bisher. Jens Thurau kann dem verwirrenden Treiben trotzdem etwas abgewinnen.

Bild: picture-alliance/dpa/T. Brégardis

Lange Schlangen bildeten sich auf dieser Klimakonferenz in Madrid immer bei den Veranstaltungen, auf denen die Politiker und Diplomaten aus 190 Staaten gar nicht vertreten waren. 30 Minuten anstehen, um Greta Thunberg zu sehen, nochmal 30 Minuten, um dem weltbekannten Schauspieler Harrison Ford zu lauschen, der für das bessere, das umweltbewusste Amerika sprach und seinen Präsidenten Donald Trump "furchtbar" nannte.

Aber sie waren schon da, die Staatenvertreter, wie jedes Jahr seit 1992, seit Beginn der UN-Klimakonferenzen. Eigentlich stehen sie ja auch im Kern dieses Zirkusses; ihr Job sollte es sein, gemeinsam Klimagase zu verringern. Eigentlich. Aber was sie beschließen, was sie sich vornehmen, wie konkret sie das Klima schützen wollen, ist immer schwerer zu erklären. UN-Klimakonferenzen sind längst eine eigene Welt mit teils absurden Vereinbarungen und Schuldzuweisungen. Wenn man sich auf das verwirrende Spiel einlässt, dann bleibt als Fazit: Das Glas ist halb leer oder halb voll - je nach Sichtweise.

Die Emissionen steigen - trotz aller Konferenzen

Halb leer: Seit es Klimakonferenzen gibt, ist der Ausstoß von Treibhausgasen rasant gestiegen, nicht verringert worden. Trotz aller Windräder und Sonnenkollektoren und E-Autos. Die Ziele der einzelnen Staaten, in Paris 2015 vereinbart, sind zu schwach, um eine Trendwende auszulösen. Trotz aller guten Ansätze findet die Transformation vor allem der reichen Länder in eine nachhaltige Zukunft noch nicht statt. Das hat der Glaubwürdigkeit der Industriestaaten schwer geschadet, die doch damals, 1992 in Rio, hoch und heilig versprachen, voranzugehen beim Abbau der Gase. Und in einer Welt von immer größeren Nationalismen, Fluchtbewegungen und Konflikten gerät der Ansatz der Länder, das Klimaproblem gemeinsam auf internationaler Ebene lösen zu wollen, immer mehr unter Druck.

DW-Redakteur Jens Thurau ist bei der COP25

Halb voll: Die Klimatreffen haben dazu geführt, dass der reiche Norden Milliarden in den Süden hat fließen lassen, um auch dort umweltfreundliche Technologien aufbauen zu können. Nicht alles ist gelungen, vieles ist absurd schief gelaufen, wenn etwa in Afrika oder Lateinamerika unter dem Deckmantel des Klimaschutzes riesige Staudämme und Wasserkraftwerke errichtet werden.

Aber seit es Klimakonferenzen gibt, haben es Wind- und Sonnenkraft etwa in Deutschland von einem Schattendasein zur Stromerzeugungsart Nummer eins gebracht. Große Fonds schwenken um und investieren nicht mehr in die Kohle. Vor allem: Eine Mehrheit in allen Gesellschaften erkennt, dass der Klimawandel existenzbedrohend für die Menschheit ist, dass die Menschen selbst schuld sind daran und dass sie das Problem deshalb auch selbst lösen müssen. Das ist mehr als nichts - trotz aller tobenden Populisten und Schreihälse.

Die internationale Klimadiplomatie gerät jetzt in die gleichen Schwierigkeiten, wie sie ähnliche, etablierte Strukturen überall auf der Welt längst haben - wie Parteien, Systeme, Gesellschaften: Der Ansatz der Klimatreffen ist der der vorsichtigen Bewegung, des Ausgleichs, des Kompromisses und, ja, auch des Basarhandels und des Feilschens. Aber eine neue, lautstarke und entschlossene Generation will davon nichts mehr wissen, sie will Ergebnisse, sofort, unmittelbar. Sie hat dem Thema einen neuen Schwung verliehen, der den langatmigen Vertragsgesprächen nur gut tun kann. Einerseits.

Aber sie erklärt auch nicht so recht, wie das Tempo, das sie fordert, funktionieren soll in einer Welt, deren Grunddynamik immer noch auf dem Verbrennen fossiler Energieträger beruht. "Wir wollen, dass ihr in Panik geratet", lautet einer dieser Greta-Thunberg-Sätze. Dabei ist Panik das Letzte, was diese Klimatreffen vertragen können. In vielen Ländern des Südens, das gerät vor allem in Europa gern in Vergessenheit, haben die Menschen neben dem Klimaproblem auch andere, ganz existenzielle Sorgen, wie die sozialen Unruhen etwa in Chile zeigen.

2020 wird der Vertrag wirksam

Sie werden sich hinüberretten in den Paris-Vertrag, die Staaten der UN-Klimakonferenz, auch ohne die USA, auch mit den nervtötenden Blockierern aus Brasilien oder Australien, aus Saudi-Arabien und Russland. 2020 wird der Vertrag wirksam, mit allen seinen Fallstricken, Ausnahmen, Unzulänglichkeiten. Immerhin: Europa scheint erkannt zu haben, dass das Karussell endgültig stillsteht, wenn die EU nicht voranschreitet. Der "Green Deal" der neuen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, parallel zur Konferenz in Madrid in Brüssel beschlossen, ist ein erster Schritt.

Also schütten wir doch beide Gläser zusammen, das halb leere und das halb volle: Die Politiker sollten den jungen Aktivisten zuhören, denn die haben Recht, wenn sie die Klimakrise als lebensbedrohend beschreiben, das ist sie längst. Auf den Druck haben die Politiker auch schon reagiert, den kühnen Plan der neuen EU-Präsidentschaft hätte es ohne Greta Thunberg und ihre "Fridays for Future"- Bewegung wohl nicht gegeben. Und die jungen Aktivisten sollten verstehen, dass der mühsame, langwierige Ausgleich noch immer zu besseren Resultaten geführt hat. Das Klima lässt sich nur mit dem multilateralen Ansatz der UN retten. Weil er die Welt so sieht, wie sie ist - nicht, wie sie sein sollte.

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