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Politik

Das (aller-)letzte Aufgebot der SPD

16. August 2019

Ist die SPD noch zu retten? Die Kandidatensuche für den Chefposten lässt daran zweifeln. Die Bewerber sind zwar keine schlechten Politiker. Aber weder reicht Mittelmaß aus, noch ein weiter so, meint Sabine Kinkartz.

Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Wer schon einmal auf einem Elternabend war, der kennt das: Zu Beginn des neuen Schuljahres müssen Elternvertreter gewählt werden. Ein Posten, um den sich wahrlich niemand reißt. Die meisten Mütter und Väter gucken betreten weg, wenn der Klassenlehrer um Bewerbungen bittet. Meistens hält dann irgendwer das Schweigen nicht mehr aus und meldet sich. Alle anderen klopfen umgehend begeistert auf den Tisch und freuen sich, dass sie davongekommen sind.

Ähnlich ist es inzwischen in der SPD. Da können sich seit etwas mehr als zwei Monaten diejenigen melden, die sich als zukünftige Vorsitzende zur Wahl stellen wollen. Dem Aufruf folgte erst einmal - nichts. Dann hoben ein paar Leute aus der zweiten und dritten Reihe der Partei zögerlich ihre Hand. SPD-Prominenz war nicht darunter. Nur Mittelmaß. Von den politischen Schwergewichten hagelte es hingegen reihenweise Absagen.

Überraschende Kehrtwende

Auch Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und Vize unter der zurückgetretenen SPD-Parteichefin Andrea Nahles, winkte sofort ab. Sein Ministerposten lasse ihm keine Zeit für das Parteiamt. Nun hat Scholz es sich doch anders überlegt: Er könne kandidieren, wenn in der kommissarischen Parteiführung niemand etwas dagegen habe, soll er gesagt haben. Begeisterung klingt anders und Fragen wirft das ganz sicher auch auf.

Schon allein die, warum der SPD-Chefposten wie Ramschware behandelt wird. Warum reißen sich die Genossen nicht um die Pole-Position in ihrer Partei, sondern tun so, als sei sie ein mit infektiösen Keimen behaftetes Handtuch, mit dem niemand in Berührung kommen will? Schwärmte nicht ein früherer SPD-Vorsitzender nach seiner Wahl beglückt, das sei das schönste Amt neben dem Papst? Davon ist inzwischen wirklich gar nichts mehr zu spüren.

Glücksgefühle löst die SPD nicht mehr aus

Vom Mehltau, der über der Partei liegt, spricht selbst die Kandidatin Gesine Schwan. Eine linke Sozialdemokratin, die politisch über alle Zweifel erhaben ist. Eine hochintelligente und gebildete Frau mit scharfem Verstand und eine charismatische Rednerin. Die schon zweimal für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte und dabei eine sehr gute Figur machte.

DW-Korrespondentin Sabine Kinkartz

Wäre Gesine Schwan jünger, könnte sie ganz sicher einen Aufbruch in der SPD verkörpern. Aber mit 76 Jahren? Ihre Kräfte werden absehbar weiter schwinden. Das weiß sie auch. Beworben hat sie sich eigentlich auch nur, weil sie dem Zaudern der anderen nicht länger tatenlos zusehen wollte.

Tiefe Verunsicherung

Dieses Zögern hat die SPD weiter beschädigt und die Basis stark verunsichert. Glaubt überhaupt noch jemand daran, dass die SPD zu retten ist? Ab dem 1. September werde man eine andere SPD erleben, hat Ralf Stegner, der sich im Duett mit Gesine Schwan bewirbt, gesagt. Dann werde nur noch über Inhalte geredet. Gemeint sind damit die 23 Diskussionsrunden, die alle Kandidaten in den kommenden Wochen gemeinsam absolvieren sollen, bevor im Oktober die Mitglieder abstimmen.

Tatsächlich könnten diese Diskussionsrunden spannend werden. Aber nicht wegen der Inhalte. Da wird nichts Neues zu erwarten sein, weil die SPD unter Andrea Nahles bereits mehr als ein Jahr lang nach neuen Inhalten gesucht und sie eigentlich auch gefunden hat. Nur umgesetzt wurden sie nicht. Weil es in der Koalition mit CDU und CSU nicht möglich ist, wirklich linke Positionen durchzusetzen. Und für Politik braucht man Mehrheiten.

Raus aus der Koalition

Die SPD kann sich nur retten, wenn sie diese Koalition verlässt und sich politisch auf die Linkspartei zubewegt. Dafür steht ein Teil der Kandidaten, die Vorsitzende werden wollen. Unter ihnen ist bislang allerdings niemand, der das Charisma und die Durchsetzungskraft hätte, die man bräuchte, um diesen Weg zu gehen. Denn wer die amtierende Koalition aufkündigen will, muss sich mit den Ministern und Amtsinhabern der SPD in der Bundesregierung auseinandersetzen, die mehrheitlich gerne weiter in ihren Funktionen bleiben würden und in der Partei natürlich großes Gewicht haben.

Zu denen gehört auch Olaf Scholz, der im Übrigen auch kein Charismatiker ist. Ob er bei den SPD-Mitgliedern punkten kann, ist zweifelhaft. Beliebt ist er auch bei den Funktionären nicht. Bei der jüngsten Vorstandswahl kam er nur auf magere 59 Prozent. Vom Typ her ist Scholz ein spröder und nüchterner Beamter und kein Heilsbringer, der die Massen begeistern und mitreißen kann. Nicht ohne Grund trug er in früheren Zeiten den Spitznamen "Scholzomat", ein Wortspiel aus Scholz und Automat.

Die Basis entscheidet

Die gute Nachricht ist, dass es in den nächsten Wochen nun doch noch spannend wird, nachdem auf der Schlussgeraden immer neue Kandidaten auf dem Bewerberkarussell auftauchen. Das wird die innerparteiliche Diskussion beleben, die mehr politisches Gewicht bekommt. Zeitgleich mit Bundesfinanzminister Scholz signalisierten auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, ein profilierter und kantiger Kämpfer für Recht und Gesetz, und Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping ihre Bereitschaft, zusammen anzutreten. Vielleicht kommt bis zum 1. September ja noch mehr Bewegung in die Kandidatenliste.

Danach wird sich in den Diskussionen mit der Basis nicht nur herauskristallisieren, wen die Partei in Zukunft an ihrer Spitze haben will. Es wird auch eine klare Antwort auf die Frage geben, ob die SPD weiter regieren wird. Oder ob Deutschland im nächsten Jahr Neuwahlen ins Haus stehen. Wenn aber die Sozialdemokraten nicht vollkommen untergehen wollen, müssen sie sich radikal verändern. Mit oder ohne Olaf Scholz.

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