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Politik

Das Desaster der Hamas

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
18. September 2017

Die Hamas macht der Fatah ein Versöhnungsangebot. Das zeigt, wie sehr sie das ihr anvertraute Gebiet politisch und ökonomisch heruntergewirtschaftet hat, meint Kersten Knipp. Doch das Angebot ist auch eine Chance.

Stärke, wie die Hamas sie sich vorstellt: Junge Kämpfer der Bewegung in Khan Younis, August 2017Bild: Reuters/M. Salem

Zuletzt lief es nicht gut für die Hamas. Saudi-Arabien und einige Vasallenstaaten setzten das Emirat Katar unter Druck. Der Boykott, den sie über das Land verhängten, setzt dem Emirat zu - so sehr, dass es alle Kräfte zusammennehmen muss, um diesen zu überstehen. Gelder ins Ausland wurden zu großen Teilen gekürzt - auch die Finanzhilfen und Investitionen in den Gazastreifen. Zuletzt kürzte Palästinenserpräsident Abbas zudem die Stromlieferungen in den Gazastreifen. Auch die Beamtengehälter wurden nicht mehr bezahlt. 

Die Hamas, seit 2006 an der Macht, steht nun mit leeren Händen dar. Hilfsgelder fließen zwar weiterhin ins Land, aber von denen konnte die Bevölkerung noch nie angemessen leben. Jetzt rächt es sich, dass den strengen Islamisten bislang nicht vielmehr eingefallen ist, als drei Kriege gegen Israel loszutreten und die eigene Bevölkerung für diesen suizidalen, weil niemals zu gewinnenden Feldzug in Geiselhaft zu nehmen.

Dem im Grunde seit Regierungsbeginn sichtbaren ideologischen und moralischen Bankrott der Hamas ist nun der ökonomische gefolgt. Anstatt den Gazastreifen zu öffnen und den Dialog mit dem in jeder Hinsicht überlegenen Israel zu suchen, isolierten sie ihn. Die Folge: 40 Prozent der Menschen haben keine Arbeit, 80 Prozent sind auf Unterstützung angewiesen. Und weil ihre Führung es so will, können die Menschen nicht einmal ins Kino gehen. Zu sündhaft, finden die Hamas-Kader.

Eine erbärmliche Bilanz

DW-Autor Kersten Knipp

Es ist eine erbärmliche Bilanz. Gut leben nur die, die das Elend zu verantworten haben. Klage über die Korruption der bärtigen Eliten wird im Gazastreifen seit Jahren geführt. In dieser Situation bietet die Hamas Palästinenserpräsident Abbas an, die Kontrolle des Gazastreifens an die palästinensische Autonomiebehörde unter seiner Leitung zu geben.

Dass sie das just in dem Moment tut, da Abbas sich in New York aufhält und dort auch mit US-Präsident Trump sprechen wird, kann man als diskreten Tritt gegen das Knie des Gegenübers verstehen: Wenn Abbas schon triumphiert, soll es bitte schön weh tun. Der Palästinenserpräsident muss dem nur bedingt für seine Geduld bekanntem Trump nämlich nun erklären, wie er es mit der Hamas hält.

Enttäuschung in der Westbank

Dabei hat Abbas ebenfalls einen schweren Stand. Nicht nur, weil er sich ebenfalls Korruptionsvorwürfen gegenüber sieht. Sondern auch, weil er das Gespräch mit einem US-Präsidenten sucht und suchen muss, der sehr deutlich hat erkennen lassen, wie wenig er für die Anliegen der Palästinenser übrig hat. Nachdem sich die Palästinenser schon von Obama enttäuscht abwandten, erwarten sie von Trump überhaupt nichts.

So gesehen, kommt das Angebot der Hamas in einer ausgesprochen schwierigen Zeit. Aber wann waren die Zeiten in den palästinensischen Autonomiegebieten nicht schwierig? Insofern bietet das Angebot eine Chance. Um sie zu nutzen, bräuchte es allerdings sehr viel.

Zunächst einmal die Bereitschaft der Führungen in beiden Teilen der Autonomiebehörden, auf die Wonnen der Macht zu verzichten. Schon das, man kennt es aus der Geschichte der mittel- und osteuropäischen Kleptokraten, dürften ihnen schwerfallen. Da der Hamas nun aber der letzte Rest politischer Legitimation durch die Finger rinnt, wäre jetzt der richtige Moment für die Zivilgesellschaft, verstärkt auf Recht und Ordnung zu bestehen.

Zeit zum Umdenken in Israel

Es bleibt Israel. Die Frage ist: Setzt die Regierung Netanjahu Staat weiter auf die Spaltung der Palästinenser, nach der Logik, dass zwei zerstrittene Führungen in der Summe weniger Macht haben als eine geeinte? Oder kann sie sich zu dem Gedanken entschließen, dass angesichts eines brennenden Nahen Ostens ein entspannteres Verhältnis zu den Palästinensern auch den Israelis gut täte?

Gerade tut sich im Nordwesten, auf den Golanhöhen, eine neue, dramatische Front auf: Die Hisbollah ist bis dorthin vorgerückt und stellt nun auch dort (und nicht mehr nur an der Grenze zum Libanon) eine Gefahr dar. Israel hätte dort einen Feind von ganz neuer Qualität.

In einer solchen Situation böte sich der Dialog mit den Palästinensern an. Es ist höchste Zeit. Denn die Hamas hat die Situation im Gazastreifen so sehr vergeigt, das einige Bürger auf radikalislamistische Bewegungen setzen. Andere hingegen hoffen auf eine dem Recht verpflichtete Regierung. Es wäre nicht absurd, diese Gruppe zu unterstützen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika