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Politik

Nicht makellos, aber bemerkenswert

Kommentarbild Fred Muvunyi  PROVISORISCH
Fred Muvunyi
8. November 2019

Der UN-Strafgerichtshof für Ruanda hat Vergewaltigung als Mittel des Völkermords eingeordnet und damit Justizgeschichte geschrieben. Dafür sollten wir die internationale Gerichtsbarkeit wertschätzen, meint Fred Muvunyi.

Blumen auf den Gräbern: Zehntausende wurden während des Völkermords in Ruanda brutal getötet (Archivbild von 1994) Bild: Getty Images/AFP/Y. Chiba

Die Stadt Arusha im Norden Tansanias beherbergt einen kleinen Gerichtssaal, der nicht nur schreckliche Dinge gehört, sondern auch für die Weltgeschichte bemerkenswerte Entscheidungen getroffen hat. Denn der vor 25 Jahren von den Vereinten Nationen eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) hat die Vordenker des schnellsten Völkermords des 20. Jahrhunderts vor Gericht gestellt.

In meiner Heimat Ruanda wurden 1994 ethnische Tutsis angegriffen und fast ausgerottet. Moderate Hutus, deren Gewissen den Hass überwunden und die es abgelehnt hatten, ihre Nachbarn zu verraten und umzubringen, wurden ebenfalls getötet. Mehr als eine Million Ruander wurden in nur 100 Tagen ermordet.

Meine Tante, eine Tutsi, wurde zusammen mit ihren Kindern getötet. Ihr Mörder war ihr eigener Ehemann, ein Hutu. Er tötete die Frau, die er einst liebte, und seine eigenen Kinder. Er war überzeugt, dass sie Tutsi-Blut in sich hatten. Angestachelt wurde er durch Medien, die Hass und Lügen propagierten. Zahllose meiner ruandischen Landsleute wurden gnadenlos abgeschlachtet. Ihnen wurden Körperteile abgetrennt, anschließend  wurden sie lebendig begraben. In einigen Fällen aßen Milizen Menschenfleisch und tranken das Blut ihrer Opfer. Tutsi-Frauen wurden systematisch vergewaltigt.

Tribunal für Ruanda schafft Präzedenzfall

Das UN-Tribunal für Ruanda dokumentierte all diese Verbrechen und klagte im Anschluss 93 Personen an: Politiker, Geschäftsleute, Militär- und Regierungsbeamte, Journalisten und religiöse Führer. 80 Verfahren wurden abgeschlossen, sie spielen auch seither im internationalen Rechtssystem als Präzedenzfälle eine Rolle. Es war der erste internationale Gerichtshof, der Vergewaltigung als Mittel zur Ausübung des Völkermords anerkannte.

Der Völkermord in Ruanda war grauenvoll. Und doch hat die internationale Gemeinschaft offenbar nichts daraus gelernt. Kriminelle Machthaber auf der ganzen Welt scheinen jedenfalls nicht abgeschreckt: Im sudanesischen Darfur wurden laut Schätzungen der UN seit 2003 rund 300.000 Menschen getötet. Die Täter sind immer noch auf freiem Fuß. Schätzungsweise 400.000 Syrer wurden seit März 2011 getötet, als ein Aufstand den seither andauernden Bürgerkrieg auslöste. Seit 2015 wurden auch Zehntausende Jemeniten ermordet. Im englischsprachigen Gebiet Kameruns sind mehr als 3.000 Menschen gewaltsam gestorben, mehr als 200 Dörfer wurden vom Militär niedergebrannt. Menschenrechtsgruppen und Experten befürchten hier einen ähnlichen Völkermord wie damals in Ruanda, nur im Zeitlupentempo. Es ist höchste Zeit für internationale Justizsysteme, die Verantwortlichen für all diese Taten vor Gericht zu stellen.

DW-Redakteur Fred MuvunyiBild: DW

Gut, aber noch nicht genug

Es gibt aber auch gelungene Beispiele für das Handeln des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), etwa die Anklage gegen den ehemaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir. Sie dürfte als Warnschuss für die Mehrheit der kriminellen Machthaber auf dem afrikanischen Kontinent verstanden werden. Auch Thomas Lubanga und Bosco Ntaganda, beides ehemalige Rebellenführer in der Demokratischen  Republik  Kongo, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Damit wurde ihren Anhängern und anderen afrikanischen Diktatoren signalisiert, dass der sogenannte lange Arm der Gerechtigkeit auch sie erreichen könnte.

Sowohl das Ruanda-Tribunal als auch der Internationale Strafgerichtshof haben gute Arbeit geleistet. Aber Experten bemängeln auch, dass die UN-Gerichte trotz ihres beträchtlichen Budgets bisher nur relativ wenige Prozesse durchgeführt haben. Zudem gebe es wenige Verurteilungen, viele Verfahren kamen nie zum Ende. Einige Richter hatten zudem höhere Gehälter gefordert, was dem Ansehen der Gerichte auch nicht dienlich war.

Die Kritiker der UN-Gerichte haben grundsätzlich recht. Dennoch ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Institutionen im Interesse der internationalen Gerechtigkeit und als Abschreckung gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter tätig sind. Die Kosten der Straffreiheit sind höher als die Kosten der internationalen Gerichte.

Viele sehen regionale und nationale Gerichte als eine Alternative. Doch wer könnte Vertrauen in diese Institutionen haben? Die meisten dieser Gerichte werden von Menschen geleitet, an deren Händen Blut klebt. Ihre Unabhängigkeit ist fragwürdig - und die Zahl der Opfer schrecklicher Verbrechen wächst. Unser größter Trumpf sind deshalb die internationalen Gerichte.

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