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Politik

Das Märchen vom bösen Wolf

Jeanette Wagner, DW Bonn - provisorisches Bild
Jennifer Wagner
20. Oktober 2018

Kaum wird der Wolf wieder heimisch in Deutschland, regt sich Protest. Aber irrationale Ängste dürfen nicht die Fortschritte auf dem Weg zu mehr Artenvielfalt zunichte machen, meint Jennifer Wagner.

Bild: picture-alliance/dpa/blickwinkel/D. & M. Sheldon

Der Deutsche an sich ist äußerst tierlieb. Haustiere wie Katze, Hund oder Meerschweinchen vergöttert er geradezu. Doch diese Hingabe hört bei der Mehrheit der Landsleute auf, wenn es um den "bösen" Wolf geht. Jetzt, da der seit einigen Jahren wieder heimisch in Deutschland ist, werden viele Menschen unruhig - vor allem, wenn sie Bilder gesehen haben, wie süße, flauschige Schafe von des Wolfes spitzen Zähnen zerfleischt wurden. Appetitlich sieht das gewiss nicht aus. Aber dennoch sollten wir froh sein, dass der Wolf sich in unseren Gefilden wieder wohlfühlt.

Die Tiere waren rund 150 Jahre in Deutschland ausgerottet. Seit sie unter absolutem Schutz stehen und nicht mehr gejagt werden dürfen, lassen sie sich wieder bei uns nieder, bekommen Nachwuchs, vermehren sich also. Doch kaum stellen sich erste Erfolge ein, stört das viele - Gegner des Wolfs haben nicht nur Angst um das Leben ihrer Haus- und Nutztiere, sondern manche sogar um sich selbst.

Lieber Hunde als "Entnahme"

Die Sorge von Schaf- und Ziegenhaltern ist nicht ganz unbegründet, immerhin ist der Wolf ein Raubtier. Der Mensch allerdings steht nicht auf seinem Speiseplan - entgegen den altbekannten Märchen, die wir aus unseren Kindertagen kennen. Der Wolf jagt viel lieber leichter zu fangende Tiere wie Rehe, Rothirsche oder Wildschweine. Auch des Menschen Nutztiere bereiten ihm nicht allzu große Freude - auch wenn er sie schon hin und wieder reißt, wenn sich ihm eine leichte Gelegenheit bietet. Deswegen sind für Schaf- und Ziegenherden an Waldrändern auch Hütehunde wichtig - sie schützen die Tiere.

DW-Redakteurin Jennifer WagnerBild: DW/F. Görner

Aber letztendlich ist das der Lauf der Natur: Es gibt eine Nahrungskette aus fressen und gefressen werden. Und genauso wie wir akzeptieren müssen, dass Wildschweine hin und wieder unsere Ziergärten umpflügen, werden wir uns an Wölfe gewöhnen müssen, die den tiefen Wald verlassen und Dinge tun, die wir uns nicht gewünscht haben. Doch aus Angst, dass Wölfe geliebte Katzen, Hunde oder ein Nutztier reißen könnten, gleich wieder zum flächendeckenden Abschuss übergehen? Zur "Entnahme" des Wolfes, wie es im verharmlosenden Bürokratendeutsch heißt?

Dass sich Konflikte ergeben, wenn sich als "gefährlich" eingestufte Tiere in der Nähe des Menschen niederlassen, ist normal und verständlich. Aber darauf kann man sich einstellen und die lassen sich lösen - das zeigt ja der Blick in die Länder, in denen Wölfe und auch Bären nie ausgerottet waren. Wir sollten uns glücklich schätzen, dass unsere Wälder wieder solche Tiere anlocken - sie fühlen sich offenbar wohl hier.

Es geht vor allem um Jagdlust

Nicht nur in den Steppen Afrikas - auch in Osteuropa oder in Nordamerika gehören wilde Raubtiere seither zum Lebensraum der Menschen. Ein Grund für viele Touristen zum Beispiel Kanada zu bereisen ist, Wölfe in freier Wildbahn beobachten zu können. Ähnlich ist es in Rumänien, wo viele Rudel leben. Menschen fallen die scheuen Wildtiere auch dort nicht an - im Gegenteil. Vielmehr werden sie von zweibeinigen Jägern bedroht: Wo immer in Europa in Kontingent Wölfe kurzfristig zum Abschuss freigegeben wird, reisen zahlungskräftige Jäger aus dem Ausland an, die aus reinem Spaß Wölfe töten.

Dabei ist es doch so: Der Mensch hat sich im Laufe der Jahrhunderte genug Natur angeeignet - gerade auch in Deutschland, diesem sehr dicht besiedelten Land. Kaum ein Flecken Erde ist hier nicht "kultiviert", wie wir es arrogant nennen. Dabei bedeutet das schlicht: Der Mensch hat sich Felder, Wälder und Wiesen für die wirtschaftliche Nutzung zu Eigen gemacht - und was ihm dabei nicht passt und kein Geld abwirft, muss verschwinden. So einfach sollte das aber heute nicht sein, denn auch Artenvielfalt ist ein Wert an sich in einer intakten Umwelt. Deswegen müssen wir wieder lernen, uns aneinander zu gewöhnen und zusammen zu leben - Menschen, Unkräuter genannte Pflanzen und wilde Tiere. Auch ein Leben mit Wölfen ist möglich. Sogar in Westeuropa.

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