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Politik

Das Volk ist willig, der Staat ist schwach

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
21. Oktober 2018

Die afghanischen Wähler haben ihren Willen zur Demokratie bewiesen. Im Weg stehen ihr vor allem die Unfähigkeit der afghanischen Behörden und die Appeasement-Politik der USA gegenüber den Taliban, meint Florian Weigand.

Bild: DW/S. Tanha

Ist Demokratie in Afghanistan möglich? Soweit es die afghanischen Wähler betrifft, kann man diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Bilder unserer Korrespondenten vor Ort und der afghanischen Medien zeigen lange Schlangen vor den Wahllokalen. Mehr als drei Millionen der 8,8 Millionen registrierten Wähler hatten nach offiziellen Angaben am Samstagabend ihre Stimme abgegeben. Das ist eine beachtliche Zahl von Unerschrockenen angesichts von den Taliban angekündigten Gewalt und der chaotischen Organisation.

Vor allem junge Leute in den Städten drängten an die Urnen und scheuten sich auch nicht, das offen in die Kameras zu sagen. Wer heute 18 Jahre alt ist und wählen darf, war beim Sturz der Taliban-Regimes erst ein Jahr alt und hat fast sein ganzes Leben in einer zwar äußerst wackligen, aber immerhin existierenden Demokratie gelebt. Doch selbst diese vage Aussicht auf politische Mitbestimmung zeigt offenbar ihre Wirkung und gibt Hoffnung für die Zukunft.

Florian Weigand leitet die Paschtu- und Dari-Redaktion

Die Behörden haben vielerorts versagt

Ist Demokratie in Afghanistan möglich? Soweit es die Arbeit und die Motivation der offiziellen Stellen und Sicherheitskräfte betrifft, ist das mehr als fraglich. Es wird sich wohl nie feststellen lassen, wie viele Afghanen, die wählen wollten, aber wegen der Unfähigkeit der Organisatoren unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen mussten. Fast ein Drittel der Wahllokale blieb am Samstag geschlossen. Ein häufiger Grund war, dass die biometrische Identifizierung der Wähler nicht funktionierte. Die Wahl wurde daher in 400 Wahlbezirken kurzfristig auf Sonntag ausgedehnt. In einer ganzen Provinz, dem zentralafghanischen Ghazni, kann dagegen überhaupt nicht gewählt werden - nicht wegen den Taliban - sondern weil sich die Behörden nicht über den Zuschnitt von Wahlbezirken einigen konnten.

Trotz Gewalt und Organisationsproblemen gelang es mehr als einem Drittel der afghanischen Wählerschaft abzustimmenBild: Reuters/M. Ismail

Genauso wenig wird man erfahren, wie viele Menschen aus Furcht von den Anschlägen der Taliban zu Hause blieben. In rund 200 Angriffen mit Bomben, Raketen und Mörsergranaten töteten die Islamisten an den Wahltagen mehr als 30 Menschen und verletzten rund 130. Dabei waren rund 70.000 Soldaten und Polizisten vor und während der Wahl im Einsatz. Doch selbst in der hochgesicherten Hauptstadt Kabul konnten sie Anschläge nicht verhindern. Und auch nicht die Ermordung des Polizeichefs von Kandahar zwei Tage vor der Wahl. In der südafghanischen Metropole kann daher erst in einer Woche gewählt werden, wenn sich hoffentlich die Lage beruhigt hat - ein Armutszeugnis für die Sicherheitskräfte, das nur wenig Hoffnung für die Zukunft bringt.

USA lassen Taliban erstarken

Viele Afghanen sind stolz auf ihre StimmabgabeBild: DW/S. Tanha

Ist Demokratie in Afghanistan möglich? Soweit es die Verbündeten der afghanischen Regierung betrifft, sieht es eher düster aus. Erst am 12. Oktober traf sich der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, mit Vertretern der Taliban - ohne Beteiligung der afghanischen Regierung. Natürlich ist den USA klar, dass die Taliban die demokratische Entwicklung im Land torpedieren. Das nehmen sie aber in Kauf, um eine Abkürzung zum Frieden und damit zum Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan zu erreichen. Damit werfen die USA der Demokratie in Afghanistan Knüppel zwischen die Beine.

Die afghanischen Wähler haben bewiesen, dass sie willens sind, die Demokratie - allen Widrigkeiten zum Trotz - mit ihren Stimmen mitzugestalten. Bis zum nächsten Demokratietest im Frühjahr 2019 müssen vor allem der Staat und seine Verbündeten nachbessern. Dann stehen in Afghanistan die Präsidentschaftswahlen an.