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Politik

Demokratietest für Brasiliens Militär

6. Mai 2020

In Brasilien bahnt sich eine politische Reifeprüfung für das Militär an: Es könnte sein, dass die Generäle im Kabinett schon bald ihre Treue zur Demokratie unter Beweis stellen müssen, meint Astrid Prange de Oliveira.

Bild: Getty Images/B. Prado

Übernehmen in Brasilien die Militärs wieder die Macht? Die Frage klingt bedrohlich. Insbesondere in einem Land wie Brasilien, wo die Militärs 1964 eine Diktatur errichteten und 25 Jahre lang durchregierten. Doch auf einmal stellt sich die Frage ganz neu. Im größten Land Lateinamerikas könnte ein politisches Paradox eintreten: Das Militär übernimmt die Macht - aber nicht um die Demokratie abzuschaffen, sondern um sie zu schützen.

Zugegeben: Das klingt paradox. Und es ist ausgesprochen bitter, sich mit diesem Gedanken beschäftigen zu müssen. Schließlich haben sich Brasiliens demokratische Institutionen seit 1989 als durchaus krisenfest erwiesen. Und es waren demokratische Regierungen, die erfolgreich Hyperinflation und Armut bekämpft haben.

Generäle im Kabinett

Seit dem Amtsantritt von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro im Januar 2019 wird diese demokratische Erfolgsgeschichte missachtet. Der ehemalige Hauptmann und Fallschirmjäger holte die Militärs in sein Kabinett. Neun der insgesamt 22 Ministerien werden von Uniformierten geführt, darunter sind Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva und Vize-Präsident Hamilton Mourão.

DW-Redakteurin Astrid Prange de OliveiraBild: DW/P. Böll

Doch nun könnte Bolsonaro ausgerechnet seine Nähe zum Militär politisch zum Verhängnis werden. Denn angesichts seines erratischen Regierungsstils gibt es wachsende Anzeichen der Unzufriedenheit in den Streitkräften mit dem Präsidenten. Viele distanzieren sich von der Politik ihres Vorgesetzten, der Corona als "kleine Grippe" herunterspielt, während in Brasilien Massengräber ausgehoben werden.

Bolsonaro hat dem Land in den vergangenen Wochen viel zugemutet. Mitte April entließ er seinen Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, der verzweifelt versucht hatte, die Corona-Pandemie in Brasilien einzudämmen. Dann schasste er den angesehenen Justizminister Sérgio Moro, der von großen Teilen der Bevölkerung als Brasiliens erfolgreichster Kämpfer gegen Korruption gefeiert wird.

"Auf der Seite des Gesetzes"

Am vergangenen Wochenende unterstützte der Präsident bei einer Demonstration dann auch noch die Forderung seiner Anhänger, das Militär möge intervenieren und den Kongress auflösen. Das war dann selbst den Generälen zu viel. Verteidigungsminister Azevedo sah sich zu einer Klarstellung veranlasst: "Die Streitkräfte werden immer auf der Seite des Gesetzes, der Demokratie und der Ordnung stehen", erklärte der Minister. "Das ist unsere Pflicht."

Dass Militärs die demokratischen Institutionen verteidigen, wäre für Brasilien eine ganz neue Erfahrung. Genauso wie die Erkenntnis, dass rechtsextreme Politiker und ihre Unterstützer die Demokratie von innen zerstören.

Es könnte sein, dass die Militärs ihre verbale Demokratietreue schon bald praktisch unter Beweis stellen müssen. Denn aufgrund der regelmäßigen Verstöße gegen seine Amtspflichten liegen im brasilianischen Parlament bereits jetzt 30 Anträge auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten vor. In den Meinungsumfragen befindet sich Bolsonaro zudem seit der Entlassung von Justizminister Moro mit Ablehnungsraten von 50 Prozent im freien Fall. 

Justiz zeigt ihre Zähne

Auch Brasiliens Oberster Gerichtshof zeigte Bolsonaro mehrfach seine Grenzen auf. Zuletzt untersagten die Richter dem Präsidenten, einen Vertrauten als neuen Chef der Bundespolizei einzusetzen, weil der Verdacht besteht, etwaige polizeiliche Ermittlungen gegen seine Familie dadurch verhindern zu wollen. 

Sollte gegen Bolsonaro ein Amtsenthebungsverfahren eröffnet werden oder er zurücktreten, würde Vize-Präsident Hamilton Mourão nachrücken. Und angesichts der jüngsten Klarstellung des Verteidigungsministers würde der General den Anhängern Bolsonaros wohl kaum ihre Wünsche erfüllen und die Rückkehr zur  Diktatur verkünden.

Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn die antidemokratischen Ausfälle von Bolsonaros Anhängern vom Militär höchstselbst unterbunden würden. Für Brasilien geht es darum, die nächsten Jahre irgendwie zu überstehen. Nicht noch tiefer zu fallen. Und den Hass der politischen Polarisierung zu überwinden, der ein ganzes Land vergiftet und an den Rand des Abgrundes gebracht hat. Am besten ohne Bolsonaro.

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