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Politik

Der Flüchtlingsdeal war Symbolpolitik

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
18. März 2020

Die Coronakrise hat auch Folgen für den Flüchtlingsdeal mit der Türkei: An eine echte Neuauflage kann niemand denken. Aber vier Jahre danach muss die EU jetzt wenigstens humanitär helfen, meint Barbara Wesel.

Bild: Getty Images/C. McGrath

Es war schon bei seiner Entstehung klar: Das Abkommen mit der Türkei, das Europa vor weiteren Flüchtlingen schützen sollte, war immer ein fauler Deal. Es diente vor allem dazu, europäischen Regierungen politisch den Hals zu retten. Angela Merkel sprach damals von einer breiten und wichtigen Partnerschaft. Das war immer eine diplomatische Notlüge und nach vier Jahren ist davon fast nichts übrig. Aber auch wenn die Coronakrise derzeit die EU zu lähmen droht, so sollte sie jetzt nicht den Rest ihrer humanitären Verpflichtungen über Bord werfen.

Die einzige teilweise erfüllte Verpflichtung aus dem Abkommen ist, dass die EU einen größeren Teil des versprochenen Geldes gezahlt hat. Es stehen immer noch anderthalb Milliarden Euro aus - angeblich sind sie als Projektmittel bereits verplant. Aber auch wenn es richtig war, das Geld nicht direkt an die türkische Regierung zu zahlen, warum muss die Zusammenarbeit der Europäer mit den Hilfsorganisationen vor Ort dermaßen langsam und bürokratisch laufen? Über 3,5 Millionen Syrer haben in der Türkei Zuflucht gefunden, da kann es doch nicht so schwer sein, den Bedarf zu definieren. Aber das Abkommen war immer nur Symbolpolitik ohne den Anspruch, je wirklich umgesetzt zu werden. 

Die EU hat sich gedrückt

Das zeigt sich besonders bei der vereinbarten Umsiedlung: Über 70.000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge sollten in europäische Länder umgesiedelt werden. Nur rund ein Zehntel davon wurden wirklich aufgenommen. Hier hat sich immer jeder hinter den anderen versteckt. Weil die Osteuropäer alles blockierten, hatten Frankreich, Deutschland und andere prinzipiell aufnahmewillige Länder eine Ausrede, ihrerseits das "Resettlement" zu verzögern. So könnte man weitermachen bis zum jüngsten Tage. Hauptsache die EU-Regierungen können das politisch heikle Thema wegschieben.

Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin in Brüssel

Griechenland übrigens, das sich jetzt über die Probleme an seiner Grenze beklagt, hat zu der Situation beigetragen. Die vorherige Regierung Tsipras hat nur eine kleine Zahl von Menschen nach abgelehntem Asylantrag in die Türkei zurückgeschickt. Das wäre auch Teil des Deals gewesen. Ob sie das aus bürokratischer Unfähigkeit oder aus versteckt humanitären Gründen getan hat, ist offen. Allerdings hat sie gleichzeitig die Situation in den Lagern auf den Inseln eskalieren lassen. Athen hat hunderte Millionen an Hilfen aus dem EU-Haushalt bekommen. Dieses Geld wurde erkennbar nicht genutzt, um die Lage der Flüchtlinge zu verbessern.

Zum Charakter und der Politik des türkischen Präsidenten muss man hier nicht weit ausholen. Er ist in den vergangenen Jahren noch unberechenbarer und undemokratischer geworden und hat dabei systematische Menschenrechtsverletzungen zum politischen Alltag gemacht. Die EU konnte den Teil des Flüchtlingsdeals also gar nicht erfüllen, in dem es um Visa-Erleichterungen, ein neues Zollabkommen oder gar den Neustart der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ging. Dieses Ergebnis hat Recep Tayyip Erdogan sich selbst zuzuschreiben.

Keine Alternative zu Erdogan

Andererseits haben die Europäer in der Region keinen anderen möglichen Partner. Mit dem Schlächter Assad kann man nicht verhandeln und mit dem russischen Zaren Putin ebenso wenig. Eine Zusammenarbeit mit Europa interessiert ihn auch gar nicht. Bleibt also nur, Präsident Erdogan wenigstens teilweise im Boot zu halten, wie es der französische Präsident und die deutsche Kanzlerin jetzt versucht haben. 

Die Sache wird erleichtert, weil Erdogan innenpolitisch und wirtschaftlich stark unter Druck steht und international keine Partner mehr hat. Sein Versuch, die Europäer mit einem inszenierten Flüchtlingsansturm direkt zu erpressen, ist natürlich eine Unverschämtheit. Andererseits schuldet die EU ihm tatsächlich mehr Hilfe bei der Unterstützung der Syrer und sollte einen neuen Anlauf versuchen, eine internationale Lösung für die Region um Idlib zu schaffen.

Humanität in Zeiten von Corona

Wenn nämlich in den dortigen Flüchtlingslagern das Coronavirus ausbricht, wird die Katastrophe unbeschreiblich. Zwar mögen die meisten in Europa derzeit das Gefühl haben, man sei sich in der Not nur noch selbst der Nächste. Dennoch können wir den türkischen Präsidenten mit seinem "syrischen Problem" nicht allein lassen. Es ist weder die richtige Zeit, um einen neuen Flüchtlingsdeal zu formulieren, noch angesichts der Fehler der vergangenen Jahre über verschüttete Milch zu klagen. 

Das einzige was jetzt zählt, ist schnelle und unbürokratische Hilfe für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei und an ihren Grenzen. Niemand hat so viele Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen wie dieses Land und wenn es jetzt ökonomische Probleme gibt und bei der Bevölkerung der Widerstand gegen die Syrer wächst, dann muss man helfen. Europa darf sich von Präsident Erdogan nicht erpressen lassen, aber das kann für die Europäer kein Grund sein, sich von dem Problem auf ihrer Türschwelle abzuwenden. Auch in Zeiten von Corona gibt es eine Verpflichtung zur Humanität.

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