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Politik

Syrien und die Fehler des Westens

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
15. März 2018

Im seit sieben Jahren tobenden syrischen Krieg hat der Westen vieles falsch gemacht. Ob er den Krieg hätte verkürzen können, lässt sich kaum sagen. Sicher ist: Der Westen muss aus den Fehlern lernen, meint Kersten Knipp.

Bild: picture alliance/AA/A. Sab

Der Krieg in Syrien ist auch ein Fall für Historiker mit dem Spezialfach fiktive Geschichte: Was wäre geschehen, wenn? Besonders dringlich stellt sich diese Frage mit Blick auf die westlichen Staaten: Wie wäre dieser Krieg verlaufen, hätten sie anders gehandelt, als sie gehandelt haben? Die Frage ist keinesfalls müßig: Sie betrifft nämlich unmittelbar das Schicksal zahlloser Menschen, die, hätte der Westen sich anders verhalten, als er es tat, vielleicht (!) noch leben könnten. 

Aus jetziger Sicht ist die Geschichte der westlichen Entscheidungen vor allem eine der verpassten Chancen. Deren bekannteste fiel in das Jahr 2013: Als sich abzeichnete, dass das Assad-Regime Giftgas gegen seine Bevölkerung einsetzen könnte, sprach US-Präsident Barack Obama warnend von "roten Linien", die in diesem Fall überschritten würden und warnte vor Konsequenzen. Als dann aber tatsächlich Giftgas zum Einsatz kam, tat Obama - nichts. Er ignorierte das Gift oder seine vorherige Warnung oder beides zusammen.

Obama und die "roten Linien"

Damit, so scheint es, war die womöglich letzte Gelegenheit verstrichen, dem Assad-Regime seine Grenzen aufzuzeigen. Noch stand es nicht unter dem Schutz Irans und Russlands, jedenfalls nicht in dem Maß, wie es inzwischen der Fall ist. Noch bestand zumindest im Ansatz jenes Gleichgewicht der Kräfte, das eine wie immer geartete Intervention der USA und seiner Partner hätte denkbar erscheinen lassen. Obama hat diese Chance verstreichen lassen.

DW-Autor Kersten Knipp

Dafür mochte er gute Gründe haben. Die US-Intervention in den Irak lag gut zehn Jahre zurück - und hatte sich längst als politisches, moralisches und propagandistisches Desaster erwiesen. Der kopflose, auf Basis dreister Lügen vorbereitete Einmarsch ließ die USA als arrogante, neoimperiale Macht erscheinen - ein Eindruck, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat.

Schon allein darum wäre zehn Jahre später eine neuerliche Intervention in Nahost - diesmal in Syrien - riskant gewesen: Je nach Verlauf und Ausgang hätte sie den Ruf der USA weiter ruiniert.

Mindestens ebenso schwer wog aber das strategische Risiko: Schließlich war völlig unkalkulierbar, wie eine Intervention ausgehen würde. Hätte Assad sich beeindrucken lassen? Hätten Russland und der Iran einen Einmarsch hingenommen? Und hätte Obama womöglich Teile der islamischen Welt gegen sein Land aufgebracht - Schiiten, vielleicht aber auch Sunniten? Hätte eine Intervention neue dschihadistische Anschläge in den USA, aber auch in Europa bedeutet?

Der Preis der Passivität

Es liegt auf der Hand: Ein Einmarsch hätte fatale Folgen haben können. Das Dilemma ist nur: Dasselbe gilt auch für die Entscheidung, nicht zu intervenieren. Die heutige Situation ist bekannt: Russland und Iran haben in Syrien das Ruder in die Hand genommen und so massiv interveniert, dass für den Westen eine Konfrontation nicht mehr möglich ist. Forderungen aus Washington und den europäischen Hauptstädten, Assad müsse abtreten, sind zu Lippenbekenntnissen verkommen und grausam irrelevant. Was der Westen will  oder nicht will, spielt kaum mehr eine Rolle. Auch die üblichen Betroffenheits-Gesten beeindrucken vor Ort niemanden. 

Mehr noch: Dass die USA in den Jahren vor Beginn des Syrien-Krieges offenbar ihrerseits Strategien zum Sturz Assads durchgespielt hatten, mit denen sie das Land womöglich gleichfalls ins Chaos gestürzt hätten, lässt eben auch sie als Macht von durchaus zweifelhaften Intentionen erscheinen.

Die Sache wurde auch dadurch nicht besser, dass schon US-Präsident Obama und seine Partner an die Stelle eines rüden Interventionismus unentschlossene Halbherzigkeit setzten. Unterstützung der Rebellen ja, aber nicht zu viel, aus Angst, die Falschen (sprich: Dschihadisten) zu unterstützen: Diese Strategie machte es nicht besser, im Gegenteil, sie ermutigte zahllose Oppositionelle zu einem Kampf, der aus heutiger Sicht bereits schon damals verloren war. Und nicht nur sie starben. Auch hunderttausende Zivilisten wurden Opfer furchtbarster Gewalt, ausgeführt mit einem Zynismus, der auch vor der furchtbaren Schreckensbühne des 20. Jahrhunderts seinesgleichen nicht allzu oft trifft. 

Lippenbekenntnisse? Nie wieder!

Die Frage ist, was aus alledem zu lernen ist. Die Interventionen des Westens wurden dilettantisch geführt und scheiterten blutig, im Irak ebenso wie in Libyen. Klar ist: Der Westen ist zu langfristig sinnvollen Interventionen (derzeit) nicht in der Lage.

Er kann das Feld aber auch nicht einfach anderen überlassen: Die Wendung, die Russland und Iran dem Krieg in Syrien gaben, ist an Zynismus kaum überbietbar. Für die Zukunft - wenngleich nicht mehr für Syrien, dafür ist es zu spät - kann das nur heißen: Möglichen Verlautbarungen müssen entweder ebenso entschlossene wie durchdachte Handlungen folgen. Oder der Westen hält sich von Anfang an heraus. Nichts ist hingegen erreicht mit den üblichen Lippenbekenntnissen. Sie machen alles nur noch schlimmer.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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