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Politik

Eine Idee, die enorme Erwartungen weckt

18. Januar 2017

Es soll der große Wurf sein: Mit einem Marshallplan will Entwicklungsminister Müller die Hilfe für Afrika erneuern und zugleich Fluchtursachen bekämpfen. Jan-Philipp Scholz fragt: Geht es nicht eine Nummer kleiner?

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Gespräch mit Bauern in NigeriaBild: picture alliance/dpa/H. Hans

"Unsere Politik richtet sich gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos", so US-Außenminister George Marshall, als er 1947 die Eckpunkte seines Hilfsprogramms für Europa vorstellte. Bei allen hehren Motiven, die von solcher Lyrik begleitet wurden, hatte der Marshallplan doch vor allem ein Ziel: den Vormarsch des Kommunismus in Europa zu stoppen. Denn genau das war die große Angst, die jene Zeit prägte.

Schreckgespenst Wirtschaftsflüchtling

Ziemlich genau 70 Jahre später versucht sich der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller an einer Neuauflage des berühmten Plans. Es gehe um nichts anderes als eine "völlige Neuausrichtung" der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Afrika, so der lyrische Teil heute. Dabei soll der Marshallplan in erster Linie helfen, das große Schreckgespenst unserer Zeit zu bekämpfen: den Wirtschaftsmigranten, der in immer größerer Zahl nach Europa kommt. Doch gemessen am historischen Vorbild  kann das das neue "Afrikanische Aufschwungprogramm" nur hinter den Erwartungen zurückbleiben.   

Dabei finden sich darin zahlreiche durchaus vielversprechende Ansätze: So ist der Schwerpunkt auf Wirtschaft und Beschäftigung gut und richtig. Auch der Plan, deutsche Investitionen in Afrika gezielter zu fördern, indem der Staat finanzielle Risiken der Unternehmen mitträgt, geht in die richtige Richtung. Afrika braucht dringend mehr privatwirtschaftliche Investitionen - insbesondere auch aus dem Mittelstand. Ebenfalls angebracht ist der Verweis des Ministers auf unfaire Rahmenbedingungen: von subventionierten europäischen Nahrungsmittelexporten bis hin zur Steuerflucht von Großkonzernen, die viele Entwicklungsanstrengungen wieder zunichte machen.

Alte Weisheiten

Doch leider wird nicht klar, worin denn nun das "völlig Neue" des Marshallplans bestehen soll. Stattdessen finden sich viele Allgemeinplätze, die schon in entwicklungspolitischen Debatten der 1970er-Jahre zu allseitigem Kopfnicken geführt hätten. "Weg vom Gießkannen-Prinzip", heißt es. Verteilt Müllers Ministerium etwa bis heute die Entwicklungsgelder so? Das wäre ein Skandal! "Entwicklungspartnerschaften" auf der berühmten Augenhöhe - die entwicklungspolitische Sonntagsrede, in der Entwicklung "über die Köpfe der Menschen hinweg" gefordert wird, muss wohl noch geschrieben werden. "Reformbereitschaft soll belohnt werden" - ist die Idee, Entwicklungsgelder an demokratisch-rechtsstaatliche Bedingungen zu knüpfen, wirklich neu?

Jan-Philipp Scholz war mehrere Jahre DW-Korrespondent in Westafrika

Doch selbst wenn sich weite Teile von Müllers Marshallplan mit (nicht für!) Afrika umsetzen ließen, ist noch lange nicht sicher, dass die Gleichung "mehr Entwicklung = weniger Migranten" so einfach aufgeht. Es sind nämlich nicht die Allerärmsten, die sich auf den Weg nach Europa machen - denen fehlen schlichtweg die Mittel für diese Reise. Mittelfristig, so sagen Fachleute voraus, ist deshalb sogar vom Gegenteil auszugehen: Mehr Entwicklung wird zu mehr Migration führen. Zumindest so lange, bis in ganz Afrika ein akzeptables Wohlstandsniveau für alle erreicht ist - und damit verbundene Zukunftsperspektiven für die vielen Millionen junger Afrikaner. Selbst die größten Entwicklungsoptimisten rechnen nicht damit, dass dies innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten machbar ist.

Selbstgemachte Entwicklungshindernisse

Jenseits aller schönen Ideen und Worte wird Müllers Plan mit dem gleichen Problem konfrontiert werden, an dem schon so viele große Entwicklungsvorhaben vor ihm gescheitert sind: der fehlende Wille der politischen Elite Afrikas. Selbstverständlich gibt es die rühmlichen Ausnahmen. Aber noch immer hat sich ein zu großer Teil der Herrschenden - trotz aller Lippenbekenntnisse - hervorragend mit dem politischen Chaos des Kontinents arrangiert. Die meisten afrikanischen Politiker sehen tatenlos zu, wenn ihre jungen Landsleute die Heimat verlassen. Mehr noch: Sie haben verstanden, dass sie so unzufriedene und potenziell aufmüpfige Männer loswerden. Und gleichzeitig die Migrationsströme als wirksame Drohkulisse für mehr Entwicklungsgelder nutzen können.

Solange nicht deutlich mehr politischer Druck auf diese Banditen in Führungspositionen ausgeübt wird, solange ihre geklauten Reichtümer in Europas Luxusvierteln weiterhin hochwillkommen sind, solange von ihnen nicht verlangt wird, die Verantwortung für die Entwicklung ihrer Länder zu übernehmen, solange werden junge Afrikaner weiterhin ihr Glück in Europa suchen. Es sind weder Kriegsflüchtlinge noch die vielbeschworenen "hochqualifizierten Fachkräfte", die da unter Lebensgefahr durch die Wüste wandern und in seeuntaugliche Boote steigen. Es sind schlichtweg Betrogene ihrer eigenen Eliten, die - oft mit falschen Erwartungen - darauf hoffen, in Europa zu bescheidenem Wohlstand zu kommen. Bisher haben wir keine Antwort darauf gefunden, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Nur eins ist klar: Keine noch so gut gesicherte Grenze wird sie aufhalten. Und auch ein deutscher Marshallplan wird daran - trotz aller guten Ansätze - nichts grundlegend verändern.

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