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Politik

Der richtige Ton zum richtigen Zeitpunkt

Rupert Wiederwald
Rupert Wiederwald
3. Oktober 2017

Statt die x-te Rede zur deutschen Einheit zu halten, nimmt Bundespräsident Steinmeier die Deutschen für das Ergebnis der Bundestagswahlen in die Pflicht. Und trifft genau den richtigen Ton, findet Rupert Wiederwald.

Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Es ist eine außergewöhnliche Rede, die Frank-Walter Steinmeier in Mainz gehalten hat. Als Bundespräsident ist es seine Aufgabe, überparteilich zu sein und trotzdem Haltung zu vermitteln. Am besten noch soll er Debatten anstoßen, ohne dabei das Ergebnis vorzugeben. Oft führt das dazu, dass Bundespräsidenten sehr ausgewogene Reden halten, die freundlich sind, niemanden offen angreifen und deshalb oft ein wenig langweilig sind. So wäre es zum Tag der deutschen Einheit normal gewesen, wenn der Bundespräsident die Erfolge nach 27 Jahren Vereinigung von Ost- und Westdeutschland hervorgehoben und die noch bestehenden Probleme skizziert hätte.

In Mainz hat Bundespräsident Steinmeier genau das nicht getan. Stattdessen hat er als Staatsoberhaupt die wenige Tage zurückliegende Bundestagswahl kommentiert - hat das Ergebnis zum Anlass genommen, um über neue Mauern, die nicht das Land, sondern die Bevölkerung teilten zu sprechen. Und dafür geworben, die Differenzen nicht zu offenen Feindschaften werden zu lassen.  Dabei seien alle in der Pflicht, so Steinmeier, Bürger und Politiker. Es war wichtig, das vom Bundespräsidenten zu hören.

Steinmeier fordert Einwanderungsgesetz

Steinmeier mahnt, dass die Deutschen wieder mehr miteinander sprechen müssen, anstatt nur über übereinander den Kopf zu schütteln - eine an sich simple Wahrheit. Doch was Steinmeier meint ist: Streitet miteinander, sprecht Differenzen aus, traut euch.  Das ist nichts anderes als die Aufforderung zu Debatten, die in Deutschland zu oft nicht geführt werden.

Rupert Wiederwald, Korrespondent im DW-HauptstadtstudioBild: Faceland Fotostudio

Und Steinmeier benennt selbst das wichtigste Streit-Thema: Einwanderung. Deutschland könne Migration nicht einfach wegwünschen, sagt Steinmeier, sondern müsse im Gegenteil endlich Regeln schaffen, die einen legalen Zugang für Einwanderer ermöglichen. Kurz: Steinmeier fordert ein Einwanderungsgesetz. Das kann man auch als Kritik an Bundeskanzlerin Merkel verstehen - die Unionsparteien haben solch ein Einwanderungsgesetz bislang erfolgreich blockiert.

Und Steinmeier nimmt in diesem Zusammenhang eine andere Debatte auf, die viele unter dem Oberbegriff Leitkultur geführt haben. Was heißt es, Deutsch zu sein, was heißt Heimat? An sich das dünnste Eis, auf das sich deutsche Politiker begeben können - doch Steinmeier gelingt ein Balanceakt: Deutsch sei das Bekenntnis zur deutschen Geschichte und zu demokratischen Werten - und das müsse auch für Eingewanderte gelten. Gleichzeitig definiert er Heimat individuell - jeder habe eine andere Idee von Heimat in sich. Die Summe dieser individuellen Heimaten mache Deutschland zu dem Land, das es ist.

Grenzen für die AfD

Das Bekenntnis zur deutschen NS-Geschichte erklärt das deutsche Staatsoberhaupt für unverhandelbar - erst recht für Abgeordnete - und zeigt damit der neuen rechtspopulistischen Partei im Bundestag deutlich die Grenzen auf. Ohne die AfD mit einem Wort zu erwähnen.

So viel Meinung war selten bei einem Bundespräsidenten - und selten war sie so nötig. In schwierigen Zeiten braucht es einen Kompass, eine Haltung. Und wo, wenn nicht bei den zentralen Feiern zur deutschen Einheit hätte der Bundespräsident alle Deutschen ansprechen können? Und wann, wenn nicht jetzt hätte der Bundespräsident die Folgen, die das Wahlergebnis vom 24.09. haben muss, ansprechen sollen? Es war die richtige Rede zum richtigen Zeitpunkt. Bundeskanzlerin Merkel übrigens sprach in ihrem Statement zum Tag der deutschen Einheit von den vielen Dingen, die geglückt seien in den vergangenen Jahren. Das könne einem Kraft geben, die ausstehenden Probleme zu lösen.

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