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Politik

Deutschland verliert die Geduld

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
2. September 2020

Eine gepfefferte Erklärung der ganzen Regierung, ein Statement der Kanzlerin, der Botschafter wird einbestellt. Aufgrund des Falls Nawalny hat sich der Ton gegenüber Präsident Putin massiv verschärft, meint Jens Thurau.

Kreml-Kritiker Alexej Nawalny im Februar bei einem Gedenkmarsch für den ermordeten Oppositionellen Boris NemzowBild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Entschiedener kann die Reaktion eigentlich nicht mehr ausfallen: Seit der russische Oppositionelle Alexej Nawalny in der Berliner Charité behandelt wird, seit dem 22. August also, stand die Frage im Raum, ob, wann und vor allem wie die Bundesregierung auf die offensichtliche Vergiftung des Regimekritikers reagieren würde. Da war viel von Empörung die Rede, aber so richtig hart ins Gebet nehmen wollten weder die Kanzlerin noch ihr Außenminister die russische Regierung. Das ist jetzt anders.

Erst kam eine klare und unmissverständliche Presseerklärung der Bundesregierung, in der es heißt, die Vergiftung sei nun "zweifelsfrei" nachgewiesen. Dann traten Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor die Presse, der Botschafter Russlands wird zu einem "dringenden Gespräch" aufgefordert.

Das Fass ist übergelaufen

Das Wort "einbestellt" fällt zwar nicht - die allerschärfste Form der diplomatischen Missbilligung wird so umgangen. Aber das ist eine Nuance, nicht mehr. Schließlich tritt Angela Merkel höchstpersönlich vor die Presse, um ihren Unmut über Russland kundzutun. Und spricht von einem "versuchten Giftmord".

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Deutlicher kann die Bundesregierung kaum zeigen, dass für sie nach all den Geschehnissen der Vergangenheit - auf der Krim, bei der Verfolgung von Oppositionellen bis nach Deutschland, bei den Desinformationskampagnen aus Moskau - jetzt mit dem Fall Nawalny das Fass übergelaufen ist. Dazu passt die Mitteilung der Berliner Ärzte, dass Nawalnys Zustand nach wie vor ernst ist, dass er maschinell beatmet werden muss und eine lange Behandlung notwendig sei. Intern wird die Regierung noch von weiteren Details wissen, schrecklichen Details. Etwas Furchtbareres als eine Vergiftung mit Nervenkampfstoffen ist schwer vorstellbar.

Wenn das alles nicht bloß eine gesteigerte Form der Empörung ist, muss sich die Regierung jetzt innerhalb der EU für klare Schritte gegen Russland stark machen. Moskau muss Ross und Reiter nennen, sich endlich offensiv an der Aufklärung des Attentats auf Nawalny beteiligen. Geschieht das nicht, muss jetzt etwas passieren, der Gedanke erneuter Sanktionen drängt sich auf.

Wie reagiert Putin?

Die Bundesregierung geht damit durchaus ein Wagnis ein. Was Russlands Präsident Putin tut, wenn er unter Druck gerät, ist ungewiss: in Belarus, in Syrien, überall dort, wo sich Moskaus Machtanspruch immer deutlicher manifestiert. Aber wenn Deutschland, wenn Europa, noch irgendetwas an den viel beschworenen freiheitlichen Werten liegt, ist diese harsche Reaktion jetzt notwendig. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, was das für Folgen hat.

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