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Politik

Baby-Verbot im Parlament

DW Kommentarbild Kate Ferguson
Kate Ferguson
2. September 2018

Eine Abgeordnete ist mit ihrem sechs Wochen alten Baby zur Arbeit gekommen. Die Reaktion des Landtagspräsidenten zeigt, dass Deutschland bei der Gleichberechtigung noch einen langen Weg vor sich hat, meint Kate Ferguson.

Die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling mit ihrem neugeborenen BabyBild: picture alliance/dpa/J. Kalaene

"Wenn ihr Kinder wollt, kommt nach Deutschland", sage ich meinen Freunden im Ausland immer. "Es gibt ein Jahr bezahlte Elternzeit und einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Und die Spielplätze sind großartig."

"Ja, ja", antworten sie - und verdrehen die Augen. "Und ihr habt auch eine langjährige Regierungschefin, die nicht twittert. Es ist ein tolles Land. Wir haben das schon verstanden."  

Wer die familienfreundliche Politik in Deutschland vor Freunden aus anderen Staaten beschreibt, hört sich schnell etwas selbstgefällig an. In Irland, wo ich herkomme, ist in der Verfassung immer noch die Rede von den "heimischen Pflichten" der Frau. Und wegen der hohen Betreuungskosten rechnet es sich oftmals finanziell überhaupt nicht, dass beide Eltern arbeiten gehen. 

Doch bevor wir allzu enthusiastisch von einem vermeintlichen deutschen Ideal schwärmen, sollten wir uns nicht nur von den oberflächlichen Fakten blenden lassen.

Die meisten Frauen erleben eine andere Realität

Dass Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, spiegelt nicht die Realität der meisten Frauen in Deutschland beim Thema Führungspositionen. Im Gegenteil: Die Bundesrepublik schneidet im internationalen Vergleich schlecht ab, wenn es um den Frauenanteil in der Führungsetage von Unternehmen geht. Im vergangenen Jahr ist außerdem der Frauenanteil im Bundestag auf den niedrigsten Stand seit 19 Jahren gefallen - zum Teil auch wegen des Einzugs der rechtspopulistischen und männlich dominierten Alternative für Deutschland (AfD).

Wie kann das sein, fragt man sich? Lassen wir uns auf ein Gedankenexperiment ein: Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Politikerin in Thüringen. Nach der Sommerpause kommen Sie mit Ihrem sechs Wochen alten Baby zur Arbeit. Wie reagiert der Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius?

a) Er schwärmt für das Baby und gratuliert Ihnen zur Mutterschaft

b) Er weist sie an, sofort zu gehen, und behauptet, das Parlament sei kein Ort für ein Kind

c) Er bietet Ihnen an, auf das Baby aufzupassen, während Sie einen Abend in Erfurt genießen.

Sie haben es erraten. Oder vielleicht nicht. Der Vorteil dieses Gedankenexperiments ist, dass Sie Ihre Antwort mit den wirklichen Ereignissen vergleichen können. 

DW-Redakteurin Kate Ferguson aus Irland Bild: privat

Kein Ort für Babys?

Als die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling in dieser Woche ins Thüringer Landesparlament gekommen ist, hat ihr CDU-Politiker Christian Carius, der selbst Vater ist, zwar zur Geburt ihres Kindes gratuliert. Aber danach verwies er sie des Plenarsaals. Dieser sei kein Ort für Babys, das Licht und die Geräusche könnten dem Säugling schaden. 

Henflings Parteikollegen von den Grünen und die Abgeordneten der Linken haben sie verteidigt. Es gab sogar den Vorwurf, Carius würde Madeleine Henfling wie eine Abgeordnete zweiter Klasse behandeln. Doch der Landtagspräsident blieb bei seiner Haltung.

Es ist wenig überraschend, dass das Ganze eine hitzige Debatte in den sozialen Medien ausgelöst hat. Sogar Deutschlands ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, wie Carius von der CDU, verteidigte Henfling: Es gehe in diesem Fall gar nicht um die Kosten der Kinderbetreuung, sondern darum, dass Neugeborene oftmals eben nur nur von ihren eigenen Eltern getröstet werden könnten.

Letztendlich hat der Landtag von Thüringen nun eine Vereinbarung geschlossen, die den Konflikt zwar löst, aber niemandem nützt: An den nächsten drei Plenartagen, an denen Henfling nicht abstimmen darf, wird eine konservative Abgeordnete - zufälligerweise eine Frau - ebenfalls nicht abstimmen, um das Gleichgewicht zwischen Regierung und Opposition zu wahren. Mit anderen Worten: Die Lösung ist also, dass nun die Stimmen von gleich zwei Frauen nicht gehört werden.         

Die Wahrheit über Elternschaft und Beruf

"Moment mal", höre ich Sie sagen: Wieso geht Madeleine Henfling überhaupt so früh wieder arbeiten? Sollte sie nicht zu Hause sein und von den großzügigen deutschen Regelungen zur Elternzeit Gebrauch machen?

Eine gute Frage. Aber zum einen könnte sie es gar nicht, weil Abgeordnete keinen Anspruch auf Elternzeit haben. Das ist erstaunlich und zeigt, dass Deutschlands familienfreundliche Maßnahmen gerade dort, wo sie beschlossen werden, keine Priorität darstellen.

Zum anderen hätte sich Henfling auch selbst bei einem Anspruch auf ein Jahr Elternzeit dafür entscheiden können, arbeiten zu gehen. Das ist nämlich ihre freie Wahl. Und im Parlament hat sie die Macht, Dinge aktiv zu verändern.

Egal, ob sie nun mit ihrer schnellen Rückkehr ein Zeichen setzen wollte oder nicht: Ihre Erfahrung zeigt, was vielen Frauen passiert, wenn sie ihre Vorgesetzten mit der oftmals chaotischen Realität der Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf konfrontieren. Fortschrittliche politische Maßnahmen und aufgeklärte Einstellungen gehen eben nicht immer Hand in Hand. 

Babys in Tragetüchern sind kompliziert - sie weinen und spucken, saugen und übergeben sich auch mal. Und gerade deshalb gehören sie sowohl in die Öffentlichkeit als auch ins Private: Um uns an das zu erinnern, was Zukunft hat.