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Politik

Deutschland steht vor großen Umbrüchen

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
2. Juni 2019

Mit dem Nahles-Rücktritt werden vorgezogene Neuwahlen wahrscheinlicher - und damit ein baldiges Ende der Ära Merkel. Die Parteien sollten sich jedoch vor Schnellschüssen hüten, meint DW-Chefredakteurin Ines Pohl.

Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Die Ergebnisse der Europa-Wahl vor einer Woche haben im politischen Deutschland ein Beben ausgelöst, dessen verheerende Wirkung jetzt sichtbar wird. Die Ankündigung der SPD-Chefin Andrea Nahles, von ihren Ämtern zurückzutreten, ist weit mehr, als ein innerparteiliches Problem der deutschen Sozialdemokraten. Es ist gleichermaßen ein Symbol des Zustandes, in dem sich die SPD und die CDU befinden. Die beiden Großparteien also, die seit der Gründung der Bundesrepublik abwechselnd und in unterschiedlichen Koalitionen den Kanzler beziehungsweise die Kanzlerin stellen.

Beiden Parteien fehlt derzeit die Verfasstheit, die sie bräuchten, um wirkliche Führungsverantwortung tragen zu können - programmatisch wie personell.

Schwaches Bild der neuen CDU-Chefin

Zunächst die CDU: Seit Angela Merkel den Parteivorsitz abgegeben hat - gezwungen durch das schlechte Abschneiden ihrer CDU bei Landtagswahlen - sind die innerparteilichen Flügelkämpfe nicht mehr zu kontrollieren. Die neue Parteichefin und potenzielle Nachfolgerin Merkels macht eine mehr als unglückliche Figur. Annegret Kramp-Karrenbauers Anbiedern an den rechten Rand der Union während des Europa-Wahlkampfes hat der Partei nichts gebracht, im Gegenteil.

DW-Chefredakteurin Ines PohlBild: DW/P. Böll

Und noch schwerwiegender war der Kommunikationsgau, den sie ausgelöst hat durch ihre Kritik an einem Youtuber. Auch hier ging der Versuch, Härte durch den Ruf nach einer strengeren Regulierung im Netz zu zeigen, schwer nach hinten los. Beschädigt ist dabei nicht nur die Person Kramp-Karrenbauer, sondern die gesamte Partei. Sie wirkt alt, verbraucht und alles andere als fit für die Zukunft.

SPD sucht ihren Platz

Für die SPD ist die Situation noch komplizierter. Seit sechs Jahren ist sie der Juniorpartner in der großen Koalition und konnte dem geschickten Agieren der Kanzlerin nichts entgegensetzen. Ob beim Mindestlohn oder bei der Kinderbetreuung: Bei praktisch allen von der SPD angeschobenen Reformen war es am Ende immer Angela Merkel, die die politischen Gewinne für sich verbuchen konnte. Auf das grundsätzliche Problem, einen Platz in einer deutschen Parteienlandschaft zu finden, in der eine liberale CDU viele klassische SPD-Themen besetzt, antworteten die Sozialdemokraten nicht programmatisch, sondern mit Flügelkämpfen und immer neuem Führungspersonal.

Nun also wird die SPD-Chefin ihre Ämter niederlegen. Damit ist alles möglich. Die SPD ist an einem solchen Tiefpunkt angekommen, dass es viele Stimmen gibt, die einfach nur ein Ende dieses Schreckens namens große Koalition wollen. Egal, was es kostet.

Keine Schnellschüsse ziehen

Und das aber ist gefährlich. Denn was, wenn es tatsächlich noch in diesem Jahr zu vorgezogenen Bundestagswahlen kommt? Weder die SPD noch die Unionsparteien CDU und CSU haben derzeit überzeugendes Spitzenpersonal. Keine der Parteien hat ein Wahlprogramm, das Antworten auf die aktuellen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger anbietet. Das Thema Klimaschutz ist dabei nur eines, auch wenn es im Moment das lauteste ist.

Nun steht Deutschland fest auf demokratischem Boden. Und auch bei Neuwahlen bestünde keine Gefahr, dass rechtsnationale Populisten die Regierungsmehrheiten gewinnen würden. Das ist die gute Nachricht aus Deutschland in diesen turbulenten Zeiten.

Rolle Deutschlands in der Welt

Angesichts der Bedeutung, die Deutschland in der aktuellen Weltlage spielt, dürfen aber weder interne Flügelkämpfe noch parteipolitische Ränkespiele bestimmen, was in den kommenden Tagen passiert. Sowohl die SPD als auch die CDU wären gut beraten, sich jetzt Zeit zu nehmen. Keine Schnellschüsse - sondern die richtigen Schlüsse ziehen, muss die Devise lauten. Mittelfristig wird Deutschland politisch nur stabil und in diesem guten Sinne für die internationalen Partner berechenbar bleiben, wenn die aktuell Handelnden an die politische Gestaltung von morgen denken - und nicht an die Bewahrung der Macht von heute.

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