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Politik

Deutschland verspielt seine Corona-Erfolge

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
27. August 2020

Wie genau sehen eigentlich im Moment die gültigen Corona-Regeln aus? Schwer zu sagen. So richtig hat auch das Treffen der Kanzlerin mit den Länderchefs nicht für Klarheit gesorgt, meint Jens Thurau.

Bild: Getty Images/S. Gallup

Eines vorweg: Auch jetzt, da die Infektionszahlen wieder steigen, steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern immer noch gut da bei der Bewältigung der Corona-Krise. Besser jedenfalls als Frankreich, Spanien oder Italien. Ganz zu schweigen von den USA. Die Maskenpflicht wird von einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert - sie ist das verbindende Glied bei allen Bemühungen im Umgang mit der Pandemie. Und das gilt erst recht, seit den Menschen immer klarer wird, dass Masken noch lange zum Alltag gehören werden, vielleicht viele Jahre lang.

Ansonsten hat sich die Politik aber verheddert im Föderalismus, in vielen verwirrenden, oft widersprüchlichen Bestimmungen. Unterschiedliche Bußgelder in den einzelnen Ländern für diejenigen, die ohne Maske erwischt werden, sind für die Politik ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Zu Recht hat etwa Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke darauf hingewiesen, was eigentlich ein Bahnreisender denken soll, dessen ICE durch mehrere Bundesländer fährt und damit unterschiedliche Bußgeldzonen passiert. Dass jetzt ein Mindestbußgeld von 50 Euro in ganz Deutschland gelten soll, hilft hier nur wenig, wenn viele Ländern höhere Strafen vorsehen - Berlin etwa bis zu 500 Euro. Ist das Delikt doch überall dasselbe. Und Sachsen-Anhalt macht einfach gar nicht mit und will überhaupt kein Bußgeld. Dass so etwas geht, versteht keiner.

Ein fröhliches Durcheinander

Irritierend sind auch die Bestimmungen für Reiserückkehrer: Erst wird mit viel Presseöffentlichkeit eine Testpflicht für die Rückkehrer aus Risikogebieten angeordnet, die Tests sollen kostenlos sein. Dann gibt es Probleme beim Testen, in Bayern werden Hunderte von positiv getesteten Urlaubern tagelang nicht informiert. Und schließlich dringt zu den Verantwortlichen durch, dass es wenig sinnvoll ist, sich mit einem Test etwa in den letzten Tagen im Urlaubsland zufrieden zu geben, wenn doch die Inkubationszeit weit länger andauert. Jetzt heißt es Kommando zurück, eine verpflichtende Quarantäne von fünf Tagen wird eingeführt. Transparenz und Klarheit sehen anders aus. Das gleiche Bild an den Schulen: Mal ist eine Maske generell vorgeschrieben, dann nur im Gebäude, aber nicht im Unterricht. Je nach Bundesland. Das ist alles schwer erträglich.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Schon immer, egal bei welchem Thema, haben die Länder eifersüchtig auf ihre Kompetenzen geschaut. Auch in den Ländern regieren Politiker, die wieder gewählt werden wollen. Drastische Corona-Schritte wie etwa in Bayern sind in Mecklenburg-Vorpommern schwer vermittelbar, wenn es dort kaum Infizierte gibt. Aber längst hat die Unsicherheit durch die vielen sich widersprechenden Bestimmungen das ganze Land erfasst. Oft ist es schwer, herauszufinden, was eigentlich genau wo im Moment gilt. Und täglich werden zwar steigende Neuinfektionen gemeldet, aber immer folgt sofort die Beteuerung, dass das Gesundheitssystem dem standhält.

Klarheit und Gleichheit werden immer wichtiger, je länger die Pandemie andauert. Die Regierung hat sich mit den Ministerpräsidenten auch darauf geeinigt, dass Großveranstaltungen wie Straßen- und Schützenfeste und größere Konzerte bis Ende des Jahres nicht stattfinden. Aber ob auch Weihnachtsmärkte und der Karnevalsauftakt Mitte November dazugehören, soll später geklärt werden. Sachsen, so hört man, fürchtet um den berühmten Weihnachtsmarkt in Dresden. Liebe Leute!

Alles immer schwerer zu begreifen

Das alles fällt in eine Zeit, in der der Corona-Alltag für die Menschen immer schwerer zu begreifen ist. Strenge Corona-Bestimmungen in den Betrieben und Behörden, viele Arbeitnehmer quälen sich inzwischen bald ein halbes Jahr durchs Home-Office. Versuchen Sie mal, einen älteren Verwandten im Krankenhaus zu besuchen, je nach Corona-Management. Oder einen neuen Ausweis zu beantragen. Da erweisen sich die Corona-Bestimmungen als fast unüberwindbares Hindernis. Und zeitgleich der Blick in die Öffentlichkeit: Wie gesagt - Masken sind allgegenwärtig. Aber Abstand? Die Deutschen feiern wieder große Familienfeste, die Jungen machen Party im Park statt im Klub. Die Welten fallen immer mehr auseinander.

Die Welt beneidet uns um unser Gesundheitssystem, um effizient arbeitende Behörden. Die große Leistung der deutschen Politik in der Pandemie war es bislang, dass sie es geschafft hat, eine große Mehrheit der Bevölkerung von der Notwendigkeit der teils drastischen Einschnitte zu überzeugen. Das darf nicht im Klein-Klein verspielt werden. Wir sind aber leider gerade dabei.

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