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Politik

Deutschland wird normal

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Henrik Böhme
23. November 2017

Wer eine Weile weg war, könnte glatt glauben, in eine am Boden liegende Nation zurückgekehrt zu sein. Dabei ist das Scheitern der Sondierung nur der Beweis dafür, dass die Demokratie funktioniert, meint Henrik Böhme.

Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Was war das für ein Donnerschlag in der Nacht zum vergangenen Montag! Die Sondierung gescheitert! Staatskrise in Deutschland! Das stärkste Land Europas ohne Führung! Dann die große Abrechnung: Die FDP wollte ja sowieso nie Regierungsverantwortung übernehmen. Die machtgeilen Grünen hätten nur so getan, als würden sie sich verbiegen bis zur Unkenntlichkeit. Die Kanzlerin war nicht in der Lage zu führen. Die CSU ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, weil der Noch-Vorsitzende vor allem seinen eigenen Kopf retten muss. Und so weiter und so fort.

Man hatte das Gefühl, die Erde habe aufgehört, sich zu drehen.

Dabei ist doch nur etwas passiert, womit man angesichts der Konstellation rechnen musste. Weil es einfach Themen gibt, wo die Parteien so weit auseinander liegen wie Sonne und Mond und wieder zurück. Zumindest müssen sich die Beteiligten fragen lassen, wie sie es mit der gemeinsamen Wahrnehmung der Situation halten: Für die einen waren über 200 Punkte ungeklärt, für die anderen fehlte nur noch eine Stunde bis zu einer Einigung. Und selbst, wenn die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, so zeigt das doch, dass es offenbar nicht genügend Willen zur Einigung gab.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Aber wie auch immer: Das plötzliche Ende der Verhandlungen, es genügte, um ein mittleres mediales Beben auszulösen. Verständlich, schließlich mussten die Kollegen fünf Wochen lang vor verschlossenen Türen warten, sich mit Balkon-Bildern begnügen. Und dann das! Wie können Verhandlungen scheitern? Im Konsens-Land Deutschland?

In Wirklichkeit ist Deutschland in dieser Nacht endlich ein Stück normaler geworden.

Denn aufgemerkt: Das Land gleitet keineswegs führungslos durchs Universum. Es gibt eine geschäftsführende Regierung. Das merkt man unter anderem am Außenminister, der mit unbedachten Äußerungen mal eben für heftige politische Verstimmung zwischen Deutschland und Saudi-Arabien sorgt. Das merkt man auch an den Reaktionen aus der Wirtschaft. Zwar mahnen Verbandsfunktionäre pflichtbewusst Stabilität an, weil Unsicherheit Gift für die Wirtschaft sei. Aber das ist eine Binsenweisheit, die für Situationen jedweder Art aus dem Standard-Satzbaukasten herausgeholt wird. Das, was man "die Märkte" nennt, hat jedenfalls so gut wie gar nicht auf die politischen Entwicklungen reagiert. Getreu dem Motto: Politische Börsen haben sowieso kurze Beine.

Die deutsche Wirtschaft ist derzeit in Hochform, und es ist durchaus vorstellbar, dass vielerorts in den Unternehmen Erleichterung zu vernehmen war, dass es NICHT zu dieser Koalition kommt, dass die grüne "Wir-verbieten-dies-und-jenes" Partei doch nicht an die Macht kommt. Das Hängen und Würgen bei jedem Thema - und es geht in der kommenden Legislatur wirklich um die Frage, wie man Deutschland fit für die Zukunft macht - dieses Gezerre kann sich die Republik nicht leisten. Und es war ja wohl ein Luxusproblem, welches das Ende der Gespräche prägte: Wofür geben wir bloß all das Geld aus? 

Mutti hat fertig.

Insofern ist FDP-Chef Christian Lindner kein Vaterlandsverräter, sondern einer, der für Glaubwürdigkeit steht. War seine Partei früher als Umfallertruppe verschrien, so steht sie jetzt für das, was der Bundespräsident meint, wenn er von Verantwortung spricht. Für das Scheitern der Sondierungs-Verhandlungen jedenfalls hat nicht Lindner gesorgt. Er hat nur die Wahrheit ausgesprochen. Das Scheitern hat einzig und allein die Bundeskanzlerin zu verantworten. Ihre Führungsmethode "Laufen lassen" war das falsche Rezept. Frau Merkel sollte die Konsequenzen daraus ziehen.

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