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Politik

EU muss das Druschba-Desaster ernst nehmen

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
15. Mai 2019

Die größte Pipeline für russische Öllieferungen nach Europa steht seit drei Wochen still. Aber Versorgungssicherheit scheint in der EU und den betroffenen Ländern kein Thema zu sein, wundert sich Andrey Gurkov.

Die Raffinerie in Schwedt nahe der polnischen Grenze wird von der Druschba-Pipeline versorgtBild: Getty Images/S. Gallup

Wenn in diesen Tagen die Benzinpreise in Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern steigen, lautet die nächstliegende Erklärung: Das hat mit dem amerikanischen Ölembargo gegen den Iran und den Spannungen am Persischen Golf zu tun. Dass dies auch am mehrwöchigen Stopp der Öllieferungen aus Russland über die Druschba-Pipeline Richtung EU liegen könnte, werden wohl die wenigsten vermuten.

Ach, davon haben Sie noch gar nichts gehört? Genau das ist das Problem! Seit Jahren wird in der EU, deren größter Energielieferant Russland ist, vehement über Versorgungssicherheit diskutiert. Seit Monaten kochen Emotionen wegen Nord Stream 2. Brüssel hat sogar Gesetze geändert, um sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren dieser im Bau befindlichen russischen Gaspipeline zu wappnen.

Das wohl größte Desaster in der Geschichte der russischen Ölindustrie

Doch da fällt auf einmal der seit Jahrzehnten wichtigste Transportweg für die Versorgung von Deutschland, Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien mit russischem Öl aus - und was macht Europa? Nichts! Das Thema scheint niemanden besonders zu interessieren.   

DW-Redakteur Andrey Gurkov

Gut, Ende April, als sich herausstellte, dass in Russland Unmengen von korrosionsfördernden und giftigen Chloriden in die Druschba gelangten und daraufhin alle Abnehmer- und Transitländer die Durchleitung des verschmutzten Rohöls stoppten, haben einige führende Medien kurz darüber berichtet. Danach ist das Thema aber sehr schnell aus dem Blickfeld verschwunden.

Seither verfolgt in Europa lediglich die Agentur Reuters die Entwicklungen rund um das wohl größte technische Desaster in der Geschichte der russischen Ölindustrie, das auch weitreichende Folgen für die europäische Energieversorgung haben dürfte.

Fünf Millionen Tonnen verschmutzten Rohöls

So meldete Reuters am 14. Mai von einem Treffen europäischer Pipelinebetreiber in Bratislava, dass nach wie vor unklar sei, wann die Ölversorgung Europas über die Druschba in vollem Umfang wiederhergestellt werden könne. Es gebe keine Antwort darauf, was mit der großen Menge kontaminierten Öls geschehen soll, das Tausende Kilometer dieses Pipelinesystems verstopft - übrigens eines der größten weltweit.

Damit Sie ein Gefühl für die Ausmaße des Problems bekommen, hier einige Zahlen: In die Druschba sollen bis zu fünf Millionen Tonnen oder etwa 37 Millionen Barrel verschmutzten Öls gelangt sein. Das entspricht in etwa der monatlichen Leistung der ganzen Pipeline.

Zum Vergleich: Die ungarische Ölfirma MOL hat sich bisher bereit erklärt, 100.000 Tonnen zu entsorgen. Der ukrainische Pipelinebetreiber Ukrtransnafta behauptet, er werde vier bis sechs Monate brauchen, um 350.000 Tonnen kontaminierten Öls nach Ungarn und in die Slowakei zu pumpen, um sie dort zu lagern oder zu entsorgen. Dabei ist der südliche Abschnitt der Druschba, der über die Ukraine in diese beiden Länder und nach Tschechien führt, der weniger wichtige.

Wer bezahlt die zusätzlichen Kosten der Raffinerien?

Viele bedeutender ist der Nordstrang: Er führt über Weißrussland und Polen nach Deutschland, dem weltweit drittgrößten Abnehmer russischen Öls. Im polnischen Teil der Druschba sollen laut Reuters 1,2 Millionen Tonnen verschmutzten Öls liegen. Solange diese die Pipeline verstopfen, müssen die deutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna, die Ostdeutschland und somit auch die Hauptstadt Berlin mit Treibstoff versorgen, ihr Rohöl über die Häfen Rostock und Danzig einführen. Solche Notlösungen treiben ihre Betriebsausgaben in die Höhe. Werden sie diese zusätzlichen Kosten an die Verbraucher weitergeben?

Wird es zu Benzinmangel in Polen sowie den baltischen EU-Ländern Litauen, Lettland und Estland kommen? Die Raffinerie im weißrussischen Nowopolozk, die diese Märkte versorgt, meldet, dass sie wegen der Pipelineverschmutzung nur die Hälfte der üblichen Menge Treibstoff produzieren kann.

Und was wird mit den mindestens zehn Tankern, die im russischen Ostseehafen Ust-Luga kontaminiertes Öl an Bord genommen haben und jetzt nicht wissen, wo in Europa sie es abladen können? Denn niemand will es haben. Drei von diesen Tankern liegen übrigens im Hafen von Rostock.

Wirtschaft und Politik müssen Fragen beantworten

Das Thema hat also viele Facetten und wirft zahlreiche Fragen auf. Aber der öffentliche Druck auf  Wirtschaft und Politik ist nicht groß genug, um Antworten zu erzwingen. Die Ölindustrie als verschworene Gemeinschaft miteinander verflochtener Unternehmen schweigt und wimmelt journalistische Anfragen ab. Die Politik wiederholt nur ihr Mantra, die Versorgung sei sicher. Und Experten melden sich nicht zu Wort, um über mögliche Gefahren von chlorhaltigen Stoffen für die alten Eisenrohre der Pipeline, und in der Folge für Umwelt und Menschen aufzuklären.

Man wird das Gefühl nicht los, dass kaum jemand in Europa dieses ganz heiße Eisen anfassen will. Wenn aber Deutschland und der EU Versorgungssicherheit tatsächlich so am Herzen liegt, dann wäre es nach nunmehr drei Wochen Lieferunterbrechung und völlig unklaren Perspektiven langsam an der Zeit, sich des Themas Druschba-Pipeline anzunehmen.

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