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Politik

Eine Revolution, die keine ist

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Felix Steiner
30. Juni 2017

Noch vor einer Woche hätte das niemand geahnt: Ganz plötzlich dürfen Schwule und Lesben in Deutschland heiraten. So richtig. Wie Heteros auch. Doch am Ende könnten noch einige Überraschungen blühen, meint Felix Steiner.

Bild: picture alliance/dpa/McPhoto

Inzwischen vergleichen viele Angela Merkel mit Günter Schabowski: Als der am 9. November 1989 seine legendäre Pressekonferenz zu den neuen Reisegesetzen der DDR gab, bemerkte er auch nicht, welche Dynamik er damit auslöste. In dieser Nacht fiel die Mauer in Berlin, obwohl doch eigentlich weiterhin ein klassisch deutsches Verfahren mit Antrag und Stempel geplant war.

Nun hat die Kanzlerin am Montagabend auf einem pinken Ledersessel auf Einladung einer Frauenzeitschrift öffentlich geplaudert, dass sie in Zukunft - also nach der Wahl - eine Korrektur ihrer bisherigen Linie in Sachen Homo-Ehe erwäge. Und schwupp - keine vier Tage später hat Deutschland ein neues Gesetz, das nun genau das möglich macht.

Kaum Unterschiede zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft

Ist das jetzt eine gesellschaftliche Revolution, als die es vielfach verkauft wird? Natürlich nicht! Schwule und Lesben konnten schon seit 2001 eine sogenannte "Eingetragene Lebenspartnerschaft" eingehen, die seither - vom Steuer- bis zum Erbrecht - der Ehe immer ähnlicher geworden ist. Einzig das Adoptionsrecht für ein nicht-leibliches Kind ist das entscheidende neue Recht für die gleichgeschlechtlichen Paare. Und dass die Institution jetzt eben auch den gleichen Namen hat.

DW-Redakteur Felix Steiner

Die wirkliche Revolution hat schon viel früher stattgefunden: nicht in der Politik, sondern in der Gesellschaft. Dass auch bei katholischen Familien auf dem Lande - dem Sinnbild konservativer Werte in Deutschland - gleichgeschlechtliche Partner oder Partnerinnen zu Omas rundem Geburtstag mitgebracht werden, das wäre in der Tat vor 40 Jahren unvorstellbar gewesen. Ist heute aber vielfach selbstverständlich. Genauso wie die Vermietung einer Wohnung an ein schwules oder lesbisches Paar. Oder die Tatsache, dass die Arbeitskollegen Bescheid wissen. Noch in den 1980er-Jahren galt das als Erpressungspotenzial. Nun findet ausweislich diverser Umfragen eine Mehrheit der Deutschen das neue Gesetz gut.

Von einer "Ehe für alle", wie es nun landauf landab genannt wird, kann dennoch nicht die Rede sein. Die Institution Ehe wurde für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Nicht für größere Gruppen, wie jüngst in Kolumbien, nicht für die Heirat mit Verwandten, Kindern, Tieren oder auch mit sich selbst, um sich dadurch steuerlich besser zu stellen. Diese Aufzählung mag man mir nun als böse Polemik ankreiden und mir Homophobie unterstellen, wie es in diesen Tagen fast allen widerfährt, die sich kritisch zum neuen Gesetz geäußert haben. Aber zwei Hinweise müssen erlaubt sein.

Was folgt als nächstes?

Erstens: Der gesellschaftliche Wandel geht weiter. So wie sich meine Großeltern dieses Gesetz nie und nimmer hätten vorstellen können, so wissen wir nicht, was die angebliche Mehrheit in 50 Jahren für opportun hält. Vielleicht auch etwas, was wir heute mit unseren Werten als unvereinbar bezeichnen würden. Überraschungen sind da nicht ausgeschlossen.

Zweitens: Ein Privileg - und genau darum handelt es sich, wenn das Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt - ist nur dann ein Privileg, wenn es nicht jedem zuteil wird. Unter vielen derer, die in der "bisherigen" Form von Ehe und Familie zusammenleben, wächst daher die Sorge, dass es gar nicht um den Abbau von Diskriminierungen geht. Sondern in erster Linie um den Abbau der Privilegien. Weil die Familienpolitik den Staat nämlich viel Geld kostet. Und mit Blick auf die demografische Entwicklung ja ohnehin keinen erkennbaren Nutzen bringt.

Bleiben am Ende dieses Tages zwei Fragen:

Erstens: Was geht eigentlich im Kopf von Angela Merkel vor? Eine Frau, die ohne Not das Thema Homo-Ehe so plötzlich auf die Tagesordnung des politischen Betriebes setzt, und dann mit ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten zeigt, dass sie selbst sich gar nicht bewegt hat. Wertkonservative in CDU und CSU schauen nur noch irritiert auf diese Parteivorsitzende. Helmut Kohl wurde in allen Nachrufen für seine Prinzipienfestigkeit gepriesen. Hat Angela Merkel eigentlich welche?

Überlebt das Gesetz Karlsruhe?

Zweitens: Hat das neue Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand? Nur soviel ist sicher: Es wird garantiert eine Klage geben. Noch vor einem Jahrzehnt hat das höchste deutsche Gericht eine Ehe ganz klar als Beziehung zwischen Mann und Frau definiert. Damit stünde das neue Gesetz im Widerspruch zum Grundgesetz. Aber auch die Urteile der Karlsruher Richter waren im Zeitablauf schon manchem Wandel unterworfen. Wie lautet die Redensart? "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand!" Auch hier gilt also: Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.

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