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Politik

Die Kirche muss eine andere werden

25. September 2018

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz spricht angesichts der Dimension des Missbrauchsskandals von einem "Wendepunkt" für die Kirche. Alles andere wäre auch verantwortungslos, meint Christoph Strack.

Bild: picture-alliance/dpa/R. Haid

Es ist so etwas wie eine Stunde Null. Die katholische Kirche in Deutschland wird in diesen Tagen von Neuem erschüttert vom Ausmaß sexueller Gewalt in ihren Reihen. Und sie bekommt von Wissenschaftlern, die im kirchlichen Auftrag, aber unabhängig vier Jahre lang das Thema Missbrauch durch Männer der Kirche erforschten, den deutlichen Hinweis: So kann es nicht weitergehen.

Seit zwei Wochen kursierten zentrale Zahlen in den Medien: in der Zeit von 1946 bis 2014 lassen sich in der katholischen Kirche Deutschlands 3677 heranwachsende Opfer und 1670 beschuldigte Kleriker belegen. Nun muss man sagen: Es ist schlimmer. Diese Zahlen sind nur ein Ausschnitt, eine "untere Schätzgröße". Das ist, sagt einer der Autoren, "die Spitze eines Eisbergs, dessen tatsächliche Größe wir nicht kennen".

Ein Wendepunkt

Die Zahlen verpflichten Kirche und auch den Staat. Sie beide müssen zuerst die Opfer im Blick haben. Da ist - was eine tendenziell historisch angelegte Studie leicht vergessen lässt - seit 2010 einiges geschehen. Aber die Studie macht überdeutlich, dass sich längst nicht jede Diözese gleichermaßen engagiert. So ist es richtig, dass zuständige Bundesministerinnen die Kirche mahnen. Und es ist gut, wenn sie diese Mahnungen nicht allein auf die katholische Kirche beschränken.

DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Ja, hinter jeder Zahl stehen Schicksale. Aber der Kern der Studie sind nicht Zahlen. Auch für die "Titanic" waren die Maße des über Wasser sichtbaren Eisbergs egal. Es geht um viel mehr.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, spricht von einem "Wendepunkt" der Kirche. Es gebe Machtstrukturen und einen Klerikalismus, der Gewalt und Missbrauch begünstigt habe. Deutlicher wird die Studie. Sie nennt, ausführlich begründet, Strukturen, die Missbrauch begünstigen können: klerikale Macht, der Zölibat, der Umgang mit Sexualität, insbesondere mit Homosexualität. Ein System, das Sexualität ausblendet, blendet Homosexualität erst recht aus. Und überfordert seine Mitarbeiter. Die Studie sagt nicht: Der Zölibat ist schuld. Das drängendste Problem sind vielmehr klerikale Anmaßung und Machtmissbrauch. Aber ist der Zölibat Teil dieses Problems?

Es geht um das Wesen der Kirche

Bei all dem geht es um das Wesen der Kirche, um ihre Existenz. Das ist nicht allein ein Thema der katholischen Kirche in Deutschland. Aber Missbrauch ja auch nicht. Opfervertreter sagen, überall dort in der Welt, wo es Kirche gebe, gebe es auch sexuelle Gewalt durch Kleriker. Und wohlgemerkt: Das sagen nicht Leute, die gerade ihren Hass auf Kirche ausleben. Kirche und Missbrauch - das ist derzeit Thema in vielen Ländern auf verschiedenen Kontinenten. Und weitere Länder, in denen es noch unter der Decke gehalten wird, werden dazukommen. Es sind bisher nur die deutschen Bischöfe, die meinen, sie müssten sich die Problemlage schonungslos von Wissenschaftlern aufzeigen lassen. Damit leisten sie der Weltkirche einen Dienst. 

Kardinal Reinhard Marx kündigt Aufarbeitung anBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

"Viele Menschen glauben uns nicht mehr", sagt Marx. Seine angeschlagene Stimme passte zu diesem Satz, der für einen Kirchenmann so traurig ist. Da kann Kirche zumachen. Die zutiefst persönliche Frage des christlichen Glaubens scheitert an der Frage der Glaubwürdigkeit der Institution.

Die katholische Kirche muss eine andere werden. Das schuldet sie den Opfern. Aber nicht nur das. Wenn sie sich nicht grundlegend ändert, dann wäre das verantwortungslos. Es ist so etwas wie eine Stunde Null.

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