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Glaube

Die Kirche in der Pflicht

21. April 2019

Die katholische Kirche besitzt als moralische Instanz kaum noch Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Doch sie muss ihre Chance auf eine neue Osterbotschaft als Anwalt der Unterdrückten nutzen, meint Christoph Strack.

Bild: Reuters/C. Petit Tesson

Das Kreuz blieb. Und die Welt staunte, zeigte sich gerührt, sprach von einem Wunder. Als die Feuerwehrleute in die so schrecklich brennende Kathedrale Notre-Dame vorrückten, bot sich ihnen und der Kamera durch das verwüstete Kirchenschiff der Blick weit bis in den Chorraum, bis auf das im Dunkel fast leuchtende Kreuz.

In eigener Weise hat die Brandkatastrophe von Notre-Dame in den Tagen vor Ostern den medialen Blick auf die Kirche bestimmt. Wie das so säkulare, laizistisch verfasste Frankreich in seinem Kern getroffen schien... Wie das Bewusstsein für ein europäisches Symbol, eines der wenigen europäischen Symbole überhaupt deutlich wurde... Das Kreuz von Notre Dame als Symbol der christlichen Tradition in Europa.
Da war nicht mehr von sexueller Gewalt und von Missbrauch durch Männer der Kirche die Rede, nicht mehr von Flügelkämpfen und Lagerbildung in der katholischen Kirche. Dabei steht die römisch-katholische Kirche an einem Tiefpunkt ihres Ansehens. In Australien sitzt ein Kardinal, wegen Missbrauchs verurteilt, in Haft. In Frankreich wurde ein anderer wegen Vertuschung von Missbrauch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Und Papst Franziskus entließ einen Kardinal, diverse Bischöfe aus dem Priesterstand. Die Fälle sind hinlänglich bekannt. Bei allen schwindet das Vertrauen. Und Kirche lernt erst noch, ehrlich mit sich zu sein.

DW-Autor und Religionsexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Was soll angesichts dessen die Kirche einer Gesellschaft, von ländlichen Milieus bis zur globalen Menschheitsfamilie, noch zu sagen haben? Da kommt das leuchtend scheinende Kreuz in der Feuernacht von Paris als Erinnerung an das Wesentliche. Es steht für das zentrale Ostergeschehen, die Überwindung des Todes. Es ist das Symbol des christlichen Glaubens.

Aber wenn die Kirche heute überhaupt noch Respekt, vielleicht gar neues Vertrauen gewinnen will, muss sie diese Botschaft vom Kreuz ernst nehmen. Zu Zeiten der Römer war der Kreuzestod der schändlichste Tod, das Symbol schlechthin für Leiden.

Auf das Kreuz, auf die Kreuze von heute zu schauen, das machten Papst Franziskus und sein Haustheologe, der Kapuziner Raniero Cantalamessa, in diesen Tagen konkret. Franziskus sprach das Kreuz der minderjährigen Opfer von Missbrauch an, auch das Kreuz der Migranten, die aus Not kommen, in Not geraten. Und der Ordensmann sagte: "Arme, Ausgegrenzte, alle, die von verschiedenen Formen der Sklaverei betroffen sind, die es auch heute noch in unserer Gesellschaft gibt: Ostern ist euer Fest!"
Wenn all das nicht leeres Versprechen, reine Vertröstung bleiben soll, muss die Kirche dafür einstehen und als Anwalt der Ausgegrenzten an deren Seite stehen. Der Papst macht das, zeichenhaft auch sehr konkret. Und er wird dafür mindestens so sehr bespöttelt wie bewundert. Aber wer sonst ist in Zeiten von Populismus und nationalem Egoismus noch weltweite Stimme der Stimmlosen? Das päpstliche Vorbild ist das eine - die Umsetzung auch auf Ebene der Ortskirchen das andere. Bis hin zur Frage von finanziellen Zahlungen an Überlebende sexueller Gewalt.

Der Papst - nur leere Versprechen oder christliche Botschaft?Bild: Reuters/R. Casilli

Als abgehobene moralische Instanz hat die Kirche ihr Vertrauen verspielt. Aber sie kann denen, die tot scheinen, zur Seite stehen, kann ihr Kreuz teilen. Damit fing es mal an bei Kirche, vor 2000 Jahren. Damit fing auch die Erzählung dieser Auferstehung an. Daran erinnert das Kreuz von Notre-Dame in diesen Tagen. Die Kirche steht in der Pflicht.