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Politik

Die NATO verrät ihre Prinzipien

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Max Hofmann
6. Dezember 2016

Nicht nur in der Türkei selbst, auch innerhalb der nordatlantischen Militärallianz geht das Erdogan-Regime hart gegen vermeintliche Verschwörer vor. Die NATO darf das nicht zulassen, meint Max Hofmann.

Die Verbandsabzeichen eines türkischen Generals, der bisher bei der NATO im Einsatz war Bild: DW/T. Schultz

Hohe türkische Militärs, die in Diensten der NATO stehen, werden fristlos entlassen, müssen ihre Pässe abgeben und nach Ankara heimkehren - ausgestattet mit speziellen Reisedokumenten, die eine Rückkehr nicht vorsehen. Diese Geschichte machte unter Journalisten in Brüssel bereits im Frühherbst die Runde. Recherchen des Brüsseler DW-Studios zeigen nun, was den Militärs und ihren Familien tatsächlich widerfährt. Einige derjenigen, die nach dem Putschversuch im Juli ins Visier des Regimes gerieten, haben der DW ihre persönlichen Geschichten erzählt: Es sind herzergreifende Geschichten von Familien, die getrennt wurden. Von Müttern, die plötzlich ohne Einkommen sind und Kinder großziehen - immer in Sorge um ihre Männer, die ins Gefängnis gesteckt wurden. Menschen, die auf medizinische Hilfe angewiesen sind und nun plötzlich staatenlos vor dem Nichts stehen.

Die humanitäre Dimension einmal außer acht gelassen: Es kann auch weitreichende militärische Folgen haben, wenn türkische Offiziere, die die auf NATO-Posten saßen, festgenommen und möglicherweise gefoltert werden. Nicht-türkische NATO-Beamte warnen, dass ein Teil des erfahrensten Personals des Bündnisses plötzlich verschwunden ist. Es ist beunruhigend, wie weit Erdogans Arm reicht und wie rabiat der türkische Präsident vorgeht.

Weniger Geheimnistuerei

Aber fangen wir einmal ganz von vorne an - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Blick auf die Präambel des Nordatlantikvertrags von 1949: "Die Parteien dieses Vertrags… sind entschlossen, die Freiheit… ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten."

Klare Sache: Das Erdogan-Regime hält sich nicht mehr an diese Grundsätze. Im Gegenteil, in Ankara scheint man sie momentan sogar abzulehnen. Grund genug, die Türkei aus der NATO zu werfen? Wenn sie den eingeschlagenen Weg weiter verfolgt, wird die Antwort "Ja" lauten müssen. Aber im Moment wäre es schon einmal gut, wenn die wenigstens NATO-Offiziellen etwas offener wären, weniger geheimnistuerisch, was die Vorgänge in ihrem eigenen Hauptquartier angeht.

Max Hofmann leitet das DW-Studio in Brüssel

Es reicht nicht, wenn der NATO-Generalsekretär das Thema im Dialog mit der türkischen Regierung "anspricht". Und sich dann damit zufrieden gibt, dass die Posten derjenigen, die der "Säuberung" zum Opfer gefallen sind, neu besetzt werden. Die NATO will das Bündnis der freien Welt sein, der Stoff, aus dem die Alpträume eines Wladimir Putin gestrickt sind, eine Organisation, die NICHT davor zurückschreckt, offen zu verurteilen, was in der Türkei passiert. Und was bekommt man in Brüssel stattdessen heute zu hören? Sterile Worthülsen, die niemandem wehtun. Hinter verschlossenen Türen vielleicht noch ein vernuscheltes Lamentieren über die "schreckliche Situation."

Die NATO muss aber Stellung beziehen - nicht nur, wenn schlimme Dinge an ihren Außengrenzen geschehen, in der Ukraine oder in Syrien, sondern auch bei Skandalen innerhalb des Bündnisses selbst. Das gehört nun mal dazu, wenn man der Verteidiger der freien Welt ist, auch wenn das manchmal weh tut. Sonst geht alles Vertrauen verloren. Die DW-Recherchen zeigen die völlige Enttäuschung der betroffenen Offiziere. Wie drückte es einer aus? Von einem Tag auf den anderen sei man alleingelassen, stehe da "ohne Geschichte und leider auch ohne Zukunft." Aber unsere Interviews zeigen auch, wie sich der Vertrauensverlust fortpflanzt in den Familien-, Freundes- und Kollegenkreisen.

Vertrauen geht verloren

Das passiert nicht nur, weil die NATO mit ihrem Schweigen ihre eigenen Grundsätze verrät. Sondern auch, weil das Bündnis sich dadurch militärisch schwächen könnte. Hunderte türkische Beamte in NATO-Einrichtungen in ganz Europa und Nordamerika mussten ihre Posten räumen. Diese erfahrenen, gut ausgebildeten Soldaten, meist westlichen Werten verbunden, können nicht einfach so ersetzt werden. Vor allem dann nicht, wenn Kompetenz nicht länger das Auswahlkriterium in Ankara ist, sondern es nur noch um Loyalität gegenüber dem Regime geht. Einem Regime, das immer gefährlicher wird, dessen Politik immer unvorhersehbarer ist.

Verständlich, dass die NATO vorsichtig vorgeht. Die Türkei ist aufgrund ihrer Größe und strategischen Lage eines der wichtigsten Mitglieder des Bündnisses. Sie verfügt innerhalb der NATO über die zweitgrößte Armee - gleich nach den USA: Aber wenn die Allianz glaubwürdig bleiben möchte und das Vertrauen derer behalten will, die sie schützen soll, dann muss sie aufhören, mit dem Finger nur auf andere zu zeigen. Sie muss auch den Balken im eigenen Auge wahrnehmen. Wenn das Erdogan-Regime seinen langen Arm bis ins NATO-Hauptquartier reichen lässt, dann sollten die Bündnispartner damit offen und kraftvoll umgehen. So, wie die NATO das mit anderen Gefahren auch tut.

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