Kommentar: Die NPD ist nur ein Symptom
4. Dezember 2013Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist eine verfassungswidrige Partei. Wer das bezweifelt, dem sei ein Blick in das Grundgesetz empfohlen, konkret Artikel 21, Absatz 2: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Natürlich versucht die NPD mehr oder weniger geschickt, den Eindruck zu vermeiden, sie wolle die Demokratie beseitigen oder gar den Bestand der Bundesrepublik gefährden. Ernst zu nehmende Anhaltspunkte dafür, dass die rechtsextreme Partei den Umsturz plant, gibt es tatsächlich keine. Bleibt als erkennbares und nachweisbares verfassungswidriges Kriterium lediglich ihre aggressiv-kämpferische Zielsetzung übrig. Und an dieser Flanke ist die NPD tatsächlich angreifbar, wenn man unter freiheitlicher demokratischer Grundordnung mehr versteht als einen politiktheoretischen Begriff.
Ein Blick ins Grundgesetz ist immer aufschlussreich
In der Lebenswirklichkeit kann und darf es keine Kompromisse geben. Es geht um ein friedliches, tolerantes Miteinander aller Menschen. Auch hier lohnt sich wieder ein Blick in das Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Der NPD ist diese Geisteshaltung wesensfremd, in ihrem Programm steht das glatte Gegenteil. "Massenzuwanderung" und die "Veränderung der ethnischen Mehrheiten" werden als "Anschlag auf die Integrität und Identität unseres Volkes" konsequent abgelehnt. Die Grundmelodie ist unverhohlen fremdenfeindlich und rassistisch: "Kriminelle Ausländer" seien konsequent abzuschieben und mit einer "lebenslangen Einreisesperre" zu belegen, arbeitslose und "kulturfremde" Ausländer in ihre Heimat zurückzuführen, "um unseren Sozialstaat ebenso wie unsere nationale Identität wirksam zu schützen".
Zwischen Meinungsäußerung und Volksverhetzung
Diese Gesinnung ist verwerflich, die Sprache abstoßend. Doch reicht das allein für ein Verbot der Partei? Klare Antwort: nein! Juristisch ginge eine solche Rhetorik höchstwahrscheinlich als zulässige Meinungsäußerung durch. Bestenfalls könnten Funktionäre oder Sympathisanten dieser unappetitlichen Partei im Einzelfall wegen Beleidigung oder Volksverhetzung belangt werden. Ein systemgefährdendes Potenzial geht von der NPD aber keinesfalls aus. Wer das Gegenteil behauptet, wertet sie ungewollt auf.
Bundesregierung und Bundestag fürchten nichts mehr als eine zweite juristische Niederlage nach 2003. Deshalb lassen sie die Bundesländer mit ihrem Verbotsantrag dieses Mal allein. Von einem Signal der Geschlossenheit wie vor zehn Jahren kann also keine Rede sein. Das verbucht die NPD als Punktsieg. Der Triumph mag ein kleiner sein, er ist aber ärgerlich und war vermeidbar. Das Beharren auf einen zweiten Anlauf hat tiefer liegende Gründe. Es verrät viel über deutsche Gesellschaftspolitik und flächendeckendes Behörden-Versagen im Zusammenhang mit dem mörderischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).
Das schlechte Gewissen der wahren Demokraten
In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sitzt die NPD im Landtag. Sie nutzt diese Bühne weidlich für ihre Propaganda. Damit sollten selbstbewusste demokratische Parteien aber souverän umgehen können. Doch mitunter plagt sie ihr schlechtes Gewissen. Die Rechtsradikalen treten vor allem in ländlichen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und anderen sozialen Problemen als biedere Ansprechpartner auf, die sich um die mitunter wirklich Vernachlässigten kümmern. Dass die vermeintlich selbstlose Anteilnahme der NPD einhergeht mit fremdenfeindlichen Parolen, wird hingenommen oder schlimmer noch: fällt auf fruchtbaren Boden.
Beim NSU, der zehn rassistisch motivierte Morde begangen haben soll, ist es noch viel komplexer und auch undurchsichtiger. Personelle Berührungspunkte zur NPD gibt es, wie der im Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Ralf Wohlleben zeigt. Er war hochrangiger NPD-Funktionär in Thüringen, woher auch die mutmaßlichen NSU-Mörder stammen. Aber als schlagkräftiger Beweis für eine Verstrickung der rechtsextremen Partei würde sich diese Personalie nicht einmal im Falle einer Verurteilung Wohllebens eignen. Schließlich könnte man die etwa 6000 NPD-Mitglieder nicht einfach so in Sippenhaft nehmen.
Die Beweislage ist dürftig
Es ist also eine insgesamt dürftige Beweislage, mit der die Bundesländer versuchen, die NPD verbieten zu lassen. Ihre Materialsammlung basiert, offiziellen Behauptungen zufolge, ausschließlich auf allgemein zugänglichen Quellen. Das sind Programme, Presse-Erklärungen, Parteitage, Demonstrationen. Erkenntnisse bezahlter Spitzel des Verfassungsschutzes sollen keine Rolle gespielt haben. Die undurchsichtige Rolle dieser V-Leute war für das Bundesverfassungsgericht 2003 der Grund, den Verbotsantrag erst gar nicht zur Verhandlung zuzulassen.
Mit dem jetzt eingereichten Verbotsantrag befassen sich die Verfassungshüter auch unter dem Eindruck der NSU-Mordserie und dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa. Die Richter müssen und werden sich in dieser Gemengelage ihren nüchternen, streng rechtsstaatlichen Blick bewahren. Sollte es zu einem Verfahren kommen, könnte es schon im kommenden Jahr ein Urteil geben.
Rassismus gibt es unabhängig von der NPD
Unabhängig davon stehen zwei Befunde fest, dokumentiert durch zahlreiche Studien und Untersuchungsausschüsse: In Deutschland sind menschenfeindliche Einstellungen weit verbreitet. Und beim rechtsterroristischen NSU hat der Verfassungsschutz auf ganzer Linie versagt. Wichtiger als ein NPD-Verbot ist deshalb die Frage nach der politischen wie der gesellschaftlichen Verantwortung für Fremdenhass und Rassismus - und wie man diese Phänomene Erfolg versprechend bekämpft.