Die sanfte Macht der Queen
Zum ersten Mal kam ich 2004 nach Deutschland, um Deutsch zu lernen. Ich mietete ein Zimmer in der pfälzischen Provinz. Meine Vermieterin Cäcilia war eine konservative Katholikin, pensioniert und verwitwet. Eines Dienstags kam ich vom Arbeiten heim und Cäcilia bestürmte mich ganz aufgeregt: "Hast du sie gesehen? Wirst du es dir ansehen?"
Völlig verwirrt fragte ich, wovon sie redete. Doch meine Frage schien sie geradezu zu empören: "Deine Königin ist hier. Hier in Deutschland!", rief Cäcilia. Im Wohnzimmer standen eine Teekanne, eine Schale mit Plätzchen und mehrere benutzte Tassen herum. Cäcilia hatte offenbar Besuch von den Nachbarn gehabt.
Auf ihr Drängen hin setzte ich mich eine Zeit lang zu Cäcilia und während wir zusahen, wie der damalige Kanzler Gerhard Schröder, mitten im Wahlkampf, die Queen empfing, fragte mich meine Vermieterin über die Königin aus: Warum ein türkises Kostüm? Wird es ihr letzter Besuch sein? Könnte es sein, dass sie abdankt und Charles König wird? Und vor allem: Glaubte ich, dass die Queen Angela Merkel mögen würde? (Ich habe nie gefragt, wen sie 2005 gewählt hat, aber ich hab da so eine Ahnung.)
Wichtiger als der mächtigste Mann der Welt
Irgendwann entschuldigte ich mich und ging auf mein Zimmer unterm Dach. Denn eigentlich wollte ich mich einem ganz anderen Nachrichten-Thema widmen. Es war der 2. November 2004. In Deutschland war Queen-Besuch - aber in den USA Präsidentschaftswahlen.
An diesem Tag wurde der amtierende US-Präsident George W. Bush mitten im Irakkrieg wiedergewählt. Doch trotz seiner extremen Unbeliebtheit in Deutschland gelang es der Queen ihm die Schlagzeilen und Titelseiten der deutschen Presse streitig zu machen.
Als Brite nehme ich Elizabeth II. vor allem in ihrer zurückhaltenden Rolle wahr, die sie sich als Monarchin des 21. Jahrhunderts gegeben hat. Von ihrer Popularität im Ausland hatte ich bis dahin keine Ahnung.
Zuhause zurückhaltend, im Ausland: "We love you, ma'am"
Elf Jahre später sind die Windsors zu ihrem wahrscheinlich letzten Staatsbesuch zurückgekehrt. Und kaum etwas hat sich geändert: Wo die Queen auch auftritt, überfluten Massen von Menschen, eingehüllt in Union Jacks, für Stunden die Straßen, nur um irgendwo in der Ferne einen flüchtigen Blick auf die winkende Hand im weißen Handschuh zu erhaschen.
In Brüssel steht Griechenland am Rande des Austritts aus der Euro-Zone, und in Deutschland ist Queen-Besuch. Deutschlands auflagenstärkste Zeitung "Bild" widmet Elizabeth II. in dieser Woche einen Titel mit riesigem Foto und der Schlagzeile: "We love you, ma'am."
Außer vielleicht im unverhohlen royalistischen Daily Telegraph ist von dem stürmischen Empfang, der der königlichen Familie im Ausland bereitet wird, daheim kaum etwas zu lesen.
Kaum vorstellbar, was passieren müsste, damit ein britischer Premierminister die deutschen Titelseiten derart beherrscht. Die Frankfurter Rundschau (FR) hat es auf den Punkt gebracht: "Die Lieblingsmonarchin aller Republikaner besucht Deutschland."
Keine Verfechterin der Europäischen Einheit, sondern ihr Symbol
Die FR schlägt aber auch den Bogen zum bevorstehenden Referendum über den britischen EU-Austritt und Camerons Bemühen, Reformen in Europa anzustoßen: "Mögen die Briten mit Eurokritik, EU-Skepsis und ewigen Sonderwünschen noch so nerven - Elizabeth II. ist die Queen der Herzen."
Unter diesem Aspekt wiederum rückten auch britische Zeitungen den Queen-Besuch in den Fokus, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Denn Elizabeth II. hatte republikanische Gemüter mit einem harmlos erscheinenden Satz erhitzt: "Wir wissen, dass Spaltung in Europa gefährlich ist und dass wir uns dagegen schützen müssen im Westen und auch im Osten. Das bleibt unsere gemeinsame Aufgabe", hatte sie im Bellevue-Palast gesagt.
Moment mal! Hat die Queen sich da gerade für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ausgesprochen - in Gegenwart des Premierministers David Cameron?
Auch wenn die britische Königin - als Oberhaupt von Staat, Kirche und Militär - theoretisch die absolute Macht in ihrem Reich hat, Queen Elizabeth II. hat ihre Rolle stets als die einer passiven Gallionsfigur interpretiert. Und gerade deshalb legt ihr die übersensible britische Presse selbst eine solch banale Feststellung wie "Teilung ist gefährlich" als "Kampagne" aus.
Der Punkt ist: Ob es der britischen Presse gefällt oder nicht, Queen Elizabeth II. symbolisiert Europas Aussöhnung und Einheit in der Nachkriegszeit - vielleicht mehr als irgendjemand sonst, der heute noch ein einflussreiches Amt bekleidet.
Im zweiten Weltkrieg volontierte sie als Prinzessin in der Royal Air Force, traf sich als Königin mit dem ersten Kanzler der neuen Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, da war Angela Merkel gerade erst eingeschult und David Cameron noch nicht mal geboren. Willy Brandt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder - Queen Elizabeth II. hat sie alle getroffen. Auch deshalb genießt sie gerade in Deutschland ein so hohes Ansehen.
Und deshalb hat David Cameron sie auch begleitet. Denn auf seiner Kampagne für ein reformiertes Europa kann er sie gut gebrauchen: die sanfte Macht der passiven Majestät.
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