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Politik

Konsequent inkonsequent

4. Juli 2018

Die ganze Zeit war die SPD im Koalitionsstreit zum Zuschauen verdammt. Jetzt soll sie den Asylkompromiss abnicken. Am Ende wird ihr kaum etwas anderes übrig bleiben, meint Thomas Latschan, aber helfen wird es ihr nicht.

Die starke Frau der SPD: Andrea Nahles ist Vorsitzende der Partei sowie der BundestagsfraktionBild: picture alliance/dpa/A. Dedert

Fast könnte einem die SPD leid tun. Wochenlang schauten die Genossen um Olaf Scholz und Andrea Nahles ohnmächtig zu, wie sich ihre Koalitionspartner von CDU und CSU beinahe selbst zerlegten. Sie mahnten zur Vernunft. Sie warnten vor den unabsehbaren Konsequenzen, die ein Scheitern der Regierung zur Folge hätte. Sie legten sogar einen eigenen Fünf-Punkte-Plan zur Asylpolitik vor. Aber im allgemeinen Kanonendonner verhallte all das ungehört. Und dann einigten sich die Bundeskanzlerin, die zugleich CDU-Chefin ist, und ihr Innenminister von der CSU buchstäblich im letzten Moment, nachdem sie die Koalition beinahe zerrissen und das Vertrauen in die Politik insgesamt massiv beschädigt hatten. Um dann ihren Kompromiss den Sozialdemokraten vor den Latz zu knallen und den Genossen gleichzeitig die Pistole auf die Brust zu setzen - frei nach dem Motto: Jetzt stimmt mal schön zu.

Das Dilemma der SPD

Wieder einmal sitzt die SPD in der Falle: Stimmt sie zu, verrät die Partei ihre bisherige Position, die sie noch vor wenigen Monaten im Koalitionsvertrag festschreiben ließ. Dort ist allein von einer europäischen Lösung die Rede. Zwar einigte man sich auf die Einführung der sogenannten Ankerzentren. Aber geschlossene Aufnahmezentren für Flüchtlinge, die umzäunten Lagern gleichkämen, so hieß es in der Vergangenheit immer wieder, sind mit der SPD nicht zu machen. Und auch heute hat das die Parteichefin noch einmal unterstrichen.

DW-Redakteur Thomas Latschan

Lehnt die SPD den unionsinternen Kompromiss aber ab, dürfte die gerade mühevoll gekittete Regierungskrise mit voller Wucht erneut aufbrechen. Diesmal aber mit einer neuen Schlagrichtung. Denn plötzlich wären die Sozialdemokraten diejenigen, denen die Schuld daran zugeschoben würde. Ein Bruch der Koalition wäre womöglich die Folge - und Neuwahlen, die die im Dauerumfragetief steckende SPD aber scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Mühsam sucht Andrea Nahles daher nach einer Linie, die sowohl die eigenen Parteimitglieder beruhigt als auch die eigene Wählerschaft. Denn während vor allem der linke Flügel der SPD und die meisten Funktions- und Mandatsträger gegen den Unionskompromiss Sturm laufen, ist eine Mehrheit der Deutschen - auch der SPD-Wähler - mittlerweile für eine strengere Haltung in der Flüchtlingspolitik. Kann die SPD also überhaupt noch aus dieser Nummer rauskommen, ohne ihr Gesicht zu verlieren?

Fast könnte einem die SPD leid tun. Denn sie ist ein wenig wie die Hauptfigur in einer griechischen Tragödie: Egal, was sie tut - am Ende kann sie ihren eigenen Niedergang nicht aufhalten. Aischylos, Sophokles, Nahles - allein die Namen klingen schon, als gehörten sie irgendwie zusammen.

Geschichte wiederholt sich

Schon Anfang des Jahres stand die SPD vor einem ähnlichen Dilemma - nach dem Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition. Vollmundig hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz versprochen: Unter Angela Merkel werde die SPD nicht mehr in eine Große Koalition eintreten. Doch plötzlich stand Deutschland ohne Regierungsoption da - und auch damals mussten die Sozialdemokraten sich entscheiden: Bleiben sie bei ihrem Nein zur Großen Koalition? Oder ringen sie sich doch noch einmal durch, Regierungsverantwortung mit zu übernehmen?

Das Ergebnis ist bekannt. Viele SPD-Mitglieder haben mit geballter Faust in der Tasche für den Eintritt in die Groko gestimmt, zum einen aus Staatsräson, zum anderen aber vor allem aus der (durchaus begründeten) Angst vor Neuwahlen. Und so wird es wohl auch dieses Mal ausgehen. Es wird wohl ein paar Änderungen geben. Aber am Ende muss Andrea Nahles mit geballter Faust in der Tasche die Kröte schlucken, die die Unionsparteien ihr hinwerfen. Es ist von allen möglichen Optionen für die Partei die am wenigsten schlechte.

Und doch wird der Eindruck, der sich weiter in der Bevölkerung festsetzt, verheerend sein: Die SPD ist und bleibt konsequent inkonsequent. Der Niedergang der einst so stolzen Volkspartei wird sich fortsetzen. Bei allen unbestrittenen Fehlern, die die Partei zuvor gemacht hat, bleibt es dabei: Fast könnte einem die SPD leid tun. Aber aus Mitleid wurde noch nie eine Partei gewählt.

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Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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