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Politik

Machtpolitik auf dem Rücken von Flüchtlingen

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
7. Oktober 2019

Die USA seien verärgert über den absehbaren Vorstoß der Türkei nach Nordsyrien, heißt es offiziell. Dabei ist der Wunsch von Präsident Erdogan durchaus auch im Interesse von Donald Trump, meint Miodrag Soric.

Bisher operieren die Türkei und die USA im Norden Syriens durchaus Hand in HandBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Präsident Trump hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er viele der im Ausland stationierten US-Truppen heimholen will. Jetzt hat das Weiße Haus angekündigt, einen Großteil seiner Soldaten aus dem Norden Syriens abzuziehen. Damit lässt Washington seine bisherigen kurdischen Verbündeten im Kampf gegen die Islamisten im Stich. Viele mögen das als zynische Realpolitik verurteilen. Trump verweist auf den Wählerwillen: Die Amerikaner sind kriegsmüde. Sie sehen kaum Fortschritte bei den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten. Sollen sich doch andere damit herumschlagen!

Der Wind in der Türkei hat sich gedreht

Etwa die Türken, die kurz davor stehen, in den Norden Syriens einzumarschieren. Präsident Erdogan steht seit Monaten innenpolitisch unter Druck. Seine Partei hat bei den jüngsten Kommunalwahlen herbe Verluste hinnehmen müssen. Auch weil seine politischen Gegner versprachen, das "syrische Flüchtlingsproblem" anzugehen. Rund vier Millionen syrische Flüchtlinge leben inzwischen in der Türkei. Nach acht Jahren haben sich die meisten in ihrer neuen Umgebung eingerichtet. Viele ihrer Kinder besuchen türkische Schulen, die Familien werden medizinisch und sozial betreut. Ankara leistet auf diesem Feld Großes. Inzwischen aber dreht sich der politische Wind. Hunderttausende Syrer verdrängen türkische Arbeitskräfte. Besonders jetzt, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, führt das zu Konflikten. Politiker, denen es um einen schnellen Machtvorteil gegenüber ihren Opponenten geht, fordern die Rückführung der Syrer in deren Heimatland. 

Miodrag Soric ist Chef-Korrespondent der DW

Erdogan ist einer von ihnen. Der Abzug der Amerikaner ist für ihn ein willkommenes Geschenk: Dadurch hat er nun freie Hand, sogenannte "Sicherheitszonen" im Norden Syriens einzurichten, um die syrischen Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Gleichzeitig werden Erdogans Militärs gegen die kurdischen Kämpfer von der YPG vorgehen, die dort bisher das Sagen hat. Nach dem Einmarsch wächst der politische Einfluss der Türkei in der Gesamtregion. Wenn über die zukünftige Friedensordnung für Syrien verhandelt wird, will Erdogan - neben den Russen und Iranern - ein gewichtiges Wort mitreden.

Real an dieser Realpolitik von Trump und Erdogan ist, dass sie zu Lasten der Schwächsten - der Flüchtlinge - geht. Denn was sollen die jetzt in einer auch für sie fremden Region in Syrien, einem vom Krieg gezeichneten Land? Wovon sollen sie leben in halbzerstörten Orten ohne Infrastruktur, ohne Arbeitsplätze? Und wie sollen die syrischen Flüchtlinge dorthin gebracht werden - etwa mit Gewalt und gegen ihren Willen? Werden Erdogans Pläne umgesetzt, droht eine neue Tragödie in der Region.

Lieber Flüchtlinge aufhalten als integrieren

Mit verantwortlich für das Schicksal der Menschen in der Region sind viele: autoritäre Potentaten wie die Präsidenten Assad, Putin oder Rohani. Aber auch europäische Staatschefs, zum Beispiel in Polen oder Ungarn, die sich weigern Flüchtlinge aufzunehmen und angestrengt wegsehen, wenn andere leiden. Und sich dabei auch noch sehr clever vorkommen.

Verantwortung tragen aber nicht zuletzt auch jene Regierungschefs aus Europa, die Erdogan weitere Milliarden anbieten dafür, dass er den Flüchtlingen den Weg nach Mitteleuropa versperrt. Denn für diese ist das allemal billiger, als Hunderttausende Syrer in die entwickelten Wohlstandsgesellschaften zu integrieren. Ein politisches Geschäft. Machtpolitik statt Moral. Realpolitik eben.

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