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Politik

Die Türkei ist mehr als Erdogan

25. November 2016

Das Europaparlament fordert ein Einfrieren der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, setzt aber auf Dialog. Das ist das richtige Zeichen, meint DW-Redakteur Christoph Hasselbach.

Bild: Getty Images/M. Ozer

Erdogan macht es der EU unendlich schwer. Trotz allergrößter Zweifel an seiner Politik führt die Kommission die Beitrittsverhandlungen bisher offiziell fort. Was muss der türkische Präsident eigentlich noch machen, bis Brüssel ihm das Stoppschild zeigt? Reichen Zehntausende Entlassungen und Inhaftierungen nach dem Putsch und die Knebelung der Presse immer noch nicht?

Auch jetzt das Votum des Europaparlaments ist eher zahm. Die Verhandlungen sollen nur zeitweilig eingefroren, nicht aber abgebrochen werden. Würden sie ganz gestoppt, wäre das voraussichtlich das Ende des Beitrittsprozesses. Denn sämtliche Mitgliedsstaaten müssten dann einer möglichen Wiederaufnahme zustimmen. Mindestens Österreich wäre wohl dagegen. Die Stimmung in Europa insgesamt wendet sich ohnehin immer mehr gegen die Aussicht auf eine türkische Mitgliedschaft.

Die Abstimmung im Parlament ist weder für die Kommission, noch für die letztlich entscheidenden Mitgliedsstaaten bindend. In den Hauptstädten besteht wenig Appetit zu radikalen Maßnahmen, nicht zuletzt, weil man dort befürchtet, Ankara werde wieder Migranten ungehindert nach Europa lassen. Daher ist der Beschluss nichts weiter als ein Symbol, ein ziemlich hilfloses noch dazu. Genüsslich hatte Erdogan schon am Vortag der EU-Entscheidung gesagt, die Abstimmung habe in seinen Augen keinerlei Bedeutung. Was die praktischen Auswirkungen betrifft, hat er Recht damit.

DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Die Todesstrafe wäre das Ende

Erdogan hat es selbst in der Hand, wie die Beziehungen zur EU weitergehen. Auf die politischen Forderungen - vor allem eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze - will er auf keinen Fall eingehen. Jetzt geht er selbst in die Offensive und fordert von Brüssel, sich bis Jahresende zu entscheiden, ob die Beitrittsverhandlungen weitergehen sollen oder nicht. Andernfalls will er die Türken darüber abstimmen lassen. Aus seiner Gleichgültigkeit gegenüber Europa macht er dabei keinen Hehl.

Er könnte die Beitrittsverhandlungen auch mit einem einzigen Federstrich stoppen, nämlich wenn er die Wiedereinführung der Todesstrafe zuließe. Dann bliebe der EU gar nichts anderes übrig, als das Ende zu verkünden.

Was hat Russland der Türkei schon zu bieten?

Doch abgesehen davon: Wie sollte sich die Europäische Union verhalten? Alle Institutionen, Parlament, Rat der Mitgliedsstaaten und Kommission, sollten sich bei den unendlichen Provokationen aus Ankara immer vor Augen halten, dass sie es nicht nur mit einer Person, mit Recep Tayyip Erdogan zu tun haben. Es geht um Signale an ein ganzes Volk von knapp 80 Millionen Menschen, von denen viele ganz anders denken werden als ihr Präsident. Ein gänzlicher Abbruch der Verhandlungen, wenn er von Europa ausginge, würde ihnen die Hoffnung nehmen.

Unabhängig vom politischen Kurs Erdogans spricht zwar sehr viel gegen eine türkische EU-Vollmitgliedschaft und für eine Zusammenarbeit unterhalb dieser Ebene. Aber der Annäherungsprozess ist deshalb nicht falsch: Er ist Anreiz für zahlreiche innere Reformen. Dass Erdogan viele von ihnen nun wieder rückgängig macht, bedeutet nicht, dass der Prozess an sich falsch wäre, im Gegenteil. Und was Erdogans Getöse betrifft, er könne sich statt der EU auch anderen Partnern zuwenden: Was haben ihm denn Moskau oder Peking zu bieten, außer ihn innenpolitisch in Ruhe zu lassen? Gerade wirtschaftlich ist die Europäische Union der weitaus attraktivere Partner.

Daher ist es gut, dass das Europaparlament eine deutliche Botschaft abgesandt hat, aber den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen will. Auch die EU insgesamt sollte einen kühlen Kopf bewahren und Geduld haben. Das ist sie den Menschen in der Türkei schuldig. Irgendwann kommt eine Zeit nach Erdogan.    

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