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Die Verbrechen des eigenen Volkes endlich selbst ahnden

Dragoslav Dedović18. März 2015

In Serbien sind mehrere Personen unter dem Verdacht verhaftet worden, am Massaker von Srebrenica beteiligt gewesen zu sein. Jetzt bietet sich Belgrad die Chance für Versöhnung mit den Nachbarn, meint Dragoslav Dedović.

Srebrenica 2014 Jahrestag Völkermord an Bosniaken
Der Friedhof Potocari, wo die identifizierten Opfer des Massakers von Srebrenica beigesetzt wurdenBild: Emir Musli

In der Gegend von Srebrenica, im Osten von Bosnien-Herzegowina, nahe der Grenze zu Serbien, wurden im Juli 1995 ungefähr 8.000 unbewaffnete, muslimische Bosniaken getötet. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag bezeichnete das Massaker als Völkermord. Heute, fast 20 Jahre nach dem Massaker, gibt es eine gute Nachricht: Die Vollstrecker des Massenmordes können nicht mehr unbehelligt herumlaufen - auch in Serbien nicht.

Die schlechte Nachricht: Das passiert 20 Jahre zu spät! Einer der Verhafteten trug den Spitzname "Schlächter". Inzwischen war er in Serbien als erfolgreicher Geschäftsmann tätig. Wie viele vermeintlich "brave Bürger" im Land müssen jetzt zittern, weil auch sie eine dunkle Vergangenheit bisher erfolgreich kaschierten?

Der Wille zum Morden

Nüchtern betrachtet kann man davon ausgehen, dass der Mord an einigen Tausend Menschen in einem so kurzen Zeitraum an politische, logistische und operative Voraussetzungen geknüpft ist.

Die erste Voraussetzung ist der politische Wille, Menschen massenhaft zu vernichten. Inzwischen müssen sich zwei hochrangige Vertreter der damaligen serbischen Elite unter diesen Anklagepunkten in Den Haag verantworten: Der einstige politische Führer der bosnischer Serben, Radovan Karadžić, und sein General Ratko Mladić. Beide versteckten sich bis zu ihren Verhaftungen 2008 beziehungsweise 2011 in Serbien und beide wurden von Teilen des serbischen Geheimdienstes ganz offensichtlich gedeckt.

Die Regierenden in Belgrad schauten sehr lange weg: teils aus falsch verstandenem "Patriotismus", teils aus Angst, dass der Preis einer Verhaftung und Auslieferung zu hoch sein könnte. Als abschreckendes Beispiel nannten sie hinter vorgehaltener Hand den Mord am ersten demokratischen Ministerpräsidenten Serbiens, Zoran Djindjić, im Jahr 2003. Viele sahen in seinem gewaltsamen Tod die Rache des autokratischen Präsidenten Slobodan Milošević, der von Djindjić 2001 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Den Haag überstellt wurde.

Slobodan Milošević starb in Den Haag ohne Urteil. Die beiden Angeklagten Karadžić und Mladić sind noch nicht verurteilt worden. Da das Gericht 2016 geschlossen werden soll, müssen Urteile spätestens bis dann gefällt werden. Andererseits heißt das, dass 20 Jahre nach dem Krieg noch keinem politisch Verantwortlichen von damals offiziell und juristisch die Verantwortung zugewiesen wurde.

Kommandeure und Vollstrecker des Völkermords

Die zweite Voraussetzung für einen Massenmord ist die funktionierende Logistik. Ohne die militärischen Kommandeure des Todes blieben verbrecherische Politiker wirkungslos. Auf dieser Ebene war die internationale Justiz ein wenig erfolgreicher: Ein bosnisch-serbischer Brigadegeneral verbüßt eine 35-jährige Strafe wegen Beihilfe zum Völkermord. Der damalige Sicherheitschef des Generalstabs der Armee der Republika Srpska sowie der Sicherheitschef des am Massaker beteiligten Korps sitzen wegen Völkermords lebenslänglich. Doch das war es dann schon.

Die dritte Voraussetzung für die todbringende Effizienz eines Massakers von diesem Ausmaß ist das Mitwirken vieler "williger Vollstrecker". Im Falle Srebrenica gehörten dazu jene, die geschossen haben. Jene, die die Menschen zusammengetrieben und abtransportiert haben. Und jene, die fast ausschließlich Männer und Jungen zwischen 13 und 78 Jahren von ihren Mütter, Schwestern, Ehefrauen und Kindern trennten und in den Tod schickten. Hunderte solcher "kleinen Fische", vielleicht auch mehr, laufen immer noch frei herum.

Dragoslav Dedović leitet die Serbische Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Die vierte Voraussetzung ist ein totales Versagen der zivilisierten Welt, von der die Opfer eigentlich Schutz erwarten können sollten. Leider traf auch diese Voraussetzung in Srebrenica zu. Fest steht: Aus drei Ebenen - jener der politischen Entscheider, der Logistiker und der Vollstrecker - wurden in den vergangenen 20 Jahren viel zu wenige Täter angeklagt. Jetzt besteht die vage Hoffnung, dass sich das ändert, und zumindest die unmittelbar beteiligten Mörder vor Gericht landen.

Chance für echte Versöhnung

In Serbien, aber auch anderswo in der Region wurde die Verfolgung der zwischen 1991 und 1999 beim Zerfall Jugoslawiens begangenen Kriegsverbrechen allzu gern an den UN-Strafgerichtshof in Den Haag delegiert. So überließ man die unangenehme Arbeit den anderen. Politisch hat man gelegentlich sogar daraus Kapital geschlagen, denn es schickte sich oft genug, gegen die "voreingenommene" oder "anti-serbische" Justiz zu poltern.

Die Mission des Tribunals in Den Haag ist bald zu Ende. Damit wird die Ära vom "Outsourcing" der Strafverfolgung endgültig vorbei sein. Jenseits der in Den Haag bereits eröffneten Prozesse sind bereits seit einigen Jahren allein die einheimischen Gerichte für das Recht und Gerechtigkeit verantwortlich.

Die zuständigen Staatsanwälte betonen, dass die jüngsten Verhaftungen durch die gute Zusammenarbeit zwischen den bosnisch-herzegowinischen und serbischen Behörden möglich wurden. Das ist sehr zu begrüßen. Wenn das bedeutet, dass nun endlich die schlimmsten Untaten der 90er Jahre konsequent strafrechtlich verfolgt werden, hat Serbien auch eine reale Chance schrittweise eine echte Versöhnung mit seinen Nachbarn zu erreichen. Und die Hinterbliebenen könnten doch noch ein Gefühl der Gerechtigkeit erfahren.

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