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Gesellschaft

Ein deutscher Fall Weinstein

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer
26. Januar 2018

Eine Verleumdungskampagne? Wer sich die Vorwürfe gegen den Starregisseur Dieter Wedel im Detail ansieht, kommt nicht umhin, von einem deutschen Fall Weinstein zu sprechen. Marko Langer hofft auf sachliche Aufklärung.

Starregisseur Dieter Wedel im Jahr 2004 bei der Arbeit an einem Drehbuch auf MallorcaBild: picture-alliance/dpa/H. Ossinger

Erinnern Sie sich noch an diesen Prozess gegen den bekannten Wettermoderator aus der Schweiz? Eine tolle Story für die Boulevardmedien: Attraktiver TV-Star soll schöne Frau misshandelt haben - die Anklage lautete auf besonders schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der TV-Star verschwand vom Schirm, wanderte in den Knast, verlor seine Firma - und wurde schließlich freigesprochen.

Dieter Wedel hätte in früheren Zeiten aus diesem Stoff mindestens einen Vierteiler drehen können. Er zählt zu den erfolgreichsten TV-Regisseuren in Deutschland: "Der Schattenmann", "Der große Bellheim", "Der König von St. Pauli" hießen seine Filme, die man sich auch heute noch gut ansehen kann. Der Regisseur selbst: berüchtigt in der Branche für seine harten Arbeitsmethoden, im Privatleben für seine Frauengeschichten.

Die verlorene Ehre des Dieter W.?

Und nun gibt Wedel selbst den Bösewicht. Er soll Schauspielerinnen nicht nur drangsaliert haben. Die Wochenzeitung DIE ZEIT, die den Fall umfangreich dokumentiert, spricht von inzwischen 18 Fällen. Die Berichte der Frauen handeln von üblen Schikanen, Körperverletzung und sexuellen Attacken bis hin zur Vergewaltigung.

Als DIE ZEIT Anfang Januar erstmals über die Vorwürfe berichtete, war mein erster Gedanke: Bitte nicht! Hat man auch hierzulande jemanden gefunden, den man durchs Dorf treiben kann? Mit fiel der Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll ein, in dem der Literatur-Nobelpreisträger beklemmend beschreibt, wie schlechter Journalismus jemanden fertigmachen kann. Und ich dachte an die Empörung unter den #MeToo-Followerinnen (und Followern), die sich neulich fürchterlich aufregten über Catherine Deneuve und ihr Plädoyer für mehr Toleranz im Umgang zwischen Frauen und Männern. So kann man den Text der französischen Schauspielerin nämlich auch lesen.

Dem Königspudel auf den Schwanz getreten

Mit dieser Haltung hätte ich mich problemlos einreihen können in die Riege der Empörten, die der ZEIT eine "Hexenjagd" vorwarfen. Manche Stimmen im Internet gebärdeten sich so, als seien sie Königspudel, denen man absichtlich auf den Schwanz getreten hätte. Was bei einem Königspudel übrigens nicht einfach ist.

Marko Langer, DW-Nachrichtenredaktion

Ich habe mich geirrt. Wer die Vorwürfe gegen Dieter Wedel im Detail nachliest, kann nicht anders, als hier von einer berechtigten, ja längst überfälligen Berichterstattung zu sprechen. So wie in der "New York Times" zum Beispiel Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong'o beklemmend über ihre Erfahrungen mit dem Filmproduzenen Harvey Weinstein spricht, äußern sich nun in der ZEIT betroffene Schauspielerinnen, mit ihrem eigenen Namen, mit eigenem Foto. Sie unterlegen ihre Schilderungen mit eidesstaatlichen Versicherungen. Und die Kollegen der Wochenzeitungen belegen, dass selbst Auftraggeber in der öffentlich-rechtlichen Anstalt Saarländischer Rundfunk informiert waren und nichts unternommen haben. Die Zeugnisse und Testate, die vorlagen (unter anderem ein Befund des bekannten früheren Vereinsarztes von Bayern München, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt), zu den Akten zu legen, das war und wäre ein starkes Stück.

Besser alles zur Aufklärung tun!

Dieter Wedel weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem "Klima der Vorverurteilung". Es heißt, er sei erkrankt - und in seiner Stellungnahme beklagt er den Umfang der Darstellungen, die ein für seine Gesundheit und seine Familie erträgliches Maß überschritten habe. "Deswegen werde ich mich von jetzt an nicht mehr öffentlich äußern", zitiert die ZEIT aus seiner Stellungnahme.

Juristisch ist das verständlich, menschlich und persönlich ist das eine Katastrophe. Ja, Wedel hat den Anspruch auf Unschuldsvermutung. Aber: Wie bei einem Angeschuldigten in Steuerstrafsachen, so müsste es bei dem Vorwurf des Missbrauchs eine andere Kultur geben. Man sollte alles tun, um zur Aufklärung der Vorwürfe beizutragen. Der Wettermoderator, so bitter die Erfahrung für ihn auch war, hat das übrigens getan. Man kann nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft München die in einem Fall noch nicht abgelaufene Verjährung nutzt und es zu einer juristischen Aufarbeitung kommt. Und dass auch der Sender SR die Dinge im Rahmen seiner Möglichkeiten öffentlich aufklärt.

Wir reden über Verbrechen. Über nichts anderes

Und wer sich nun noch aufregt über die Debatte im Netz, über den Kampf der Geschlechter, über Verrohungen und Verharmlosungen in der Sprache ("Kavaliersdelikt"), dem möchte ich sagen: Die Opfer leiden ihr Leben lang. Viele trauen sich nicht zur Polizei, selbst heute nicht, wo wir in einem anderen Klima leben als noch in den 1970ern und 1980er-Jahren. Opferverbände wie etwa der "Weiße Ring" können berichten, dass Frauen nicht ernst genommen wurden. Und wenn dann der mutmaßliche Täter ein Mann mit Macht und Einfluss auf die eigene Karriere war, erst recht nicht.

Aber es gab doch auch die Legende der Besetzungscouch und die Bilder von (auch in der Sache Wedel betroffenen) Schauspielerinnen, die man(n) sich gut in den Bundeswehr-Spind hätte hängen können, gleich neben das "Playmate"-Poster. Ja, das gab und gibt es alles. Aber darum geht es hier nicht. Hier reden wir über Verbrechen. Über nichts anderes.

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