Fast jeden Tag sterben in der Ostukraine Soldaten der Kiewer Armee, Dutzende erleiden Verletzungen. Die Mörder stehen auf Seiten Russlands. Offiziell heißen sie Separatisten. Aber militärisches Gerät, Material und wohl auch personelle Unterstützung kommen aus Russland. Und um einen der schrecklichsten Momente dieses seit über einem Jahr währenden Konflikts zu nennen: Viele Indizien sprechen dafür, dass die Rakete, die im Juli 2014 ein malaysisches Zivilflugzeug vom Himmel holte und 298 Menschen tötete, aus dem unter russischem Einfluss stehenden Territorium abgeschossen wurde. Russland führt de facto Krieg gegen die Ukraine.
Und den kalten Krieger Wladimir Putin empfing nun Papst Franziskus im Vatikan. Bilder in prachtvoller Kulisse, die dem russischen Präsidenten Anerkennung symbolisieren mögen. Anerkennung, die ihm die großen G7 am Wochenende verweigerten.
Aber der Glanz des Moments kann nicht von einem vatikanischen Prinzip ablenken: Wer als Staats- und Regierungschef in den Vatikan reist und sich förmlich anmeldet, bekommt in aller Regel zumindest einmal eine Begegnung mit dem Papst, der ja eben auch Staatsoberhaupt ist. Da kommen weltweit geschätzte Repräsentanten bis hin zu Friedensnobelpreisträgern, aber eben auch politische Halunken, Diktatoren, Menschenrechtsverletzer. 2009 war Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko bei Benedikt, 2013 Robert Mugabe aus Simbabwe bei Franziskus. Und vor kurzem schaute Raúl Castro aus Havanna vorbei. Ja, auch ein Diktator.
Dem Frieden den Weg bereiten
Aber Kuba ist das beste Beispiel dafür, dass der Vatikan unter dem lateinamerikanischen Papst seine Diplomatie neu aufstellt und wieder ernster nimmt, dass Franziskus da auch mitmacht. Der Vatikan und wohl Franziskus persönlich setzten - mögen es deutsche Medien auch kaum registrieren - die Annäherung zwischen Kuba und den USA aufs Gleis. Nicht nur mit einigen Telefonaten oder einem frommen Brief. Als im Oktober 2014 erstmals Bischöfe in großer synodaler Runde im Vatikan über das Thema Familie berieten (und stritten), waren hunderte Journalisten aus aller Welt angereist und belagerten den Tagungsort. Aber niemand bekam mit, dass - wie man heute weiß - zur gleichen Zeit Gesandte Washingtons und Havannas einige Schritte weiter hinter den gleichen vatikanischen Mauern im Gespräch waren und eine weltpolitisch relevante Zeitenwende zwischen den Erzfeinden vorbereiteten. Das Ende ist bekannt. Barack Obama suchte dieser Tage demonstrativ dankbar in Miami ein wichtiges katholisches Gotteshaus der Exilkubaner auf, Castro reiste nach Rom und lud Franziskus auch offiziell zum Besuch auf der Insel Mitte September ein. Da segnet der Papst gewiss keine Diktatur ab. Aber er bereitet dem Frieden, den Menschenrechten, der Religionsfreiheit den Weg.
Joseph Ratzinger trat 2005 nach seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche demonstrativ in die Fußstapfen eines Vorgängers, der wegen seines Bemühens um Frieden weltweit Ansehen genoss. Benedikt XV. (1914 - 1922) wurde wegen seines Engagements gegen den Ersten Weltkrieg auch Friedenspapst genannt. Dass Benedikt XVI. in diesem Bereich nicht viel bewirken konnte, lag auch an seiner nicht selten unglücklichen Personalplanung. Mit Tarcisio Bertone machte er jemanden zum Kardinalstaatssekretär und damit zum Chefdiplomaten, der da, gelinde gesagt, unglücklich agierte. Aber er hat jetzt als Pensionist ein sehr großes Appartement im Vatikan.
Kirche als Vermittler
Franziskus machte im Herbst 2013 Pietro Parolin zu seiner Nummer zwei. Er ist in der Tat einer der herausragenden Diplomaten der Kirche (darüber kann auch seine harte Äußerung über das Votum des irischen Volkes zur Homo-Ehe nicht hinwegtäuschen).
Parolin war zuvor vatikanischer Botschafter in Venezuela. In dem Land ist die katholische Kirche nun einer der wichtigen Vermittler zwischen Machthabern und Opposition. Das ist nur ein Beispiel für neue vatikanische Vermittlungsbemühungen. Da war die Einladung von Franziskus an die Präsidenten von Israel und Palästinensischer Autonomiebehörde zum Treffen im Vatikan, da sind Kontakte im Libanon und mehreren afrikanischen Staaten. Selbst in Regionen, die die Mörderbanden des IS bedrohen, sind gelegentlich Emissäre unterwegs. Unter Franziskus soll die vatikanische Diplomatie entschiedener dem Frieden dienen - wo doch der Papst selbst immer mal wieder vom großen Krieg spricht, der derzeit an vielen Ecken lodere.
Die Ukraine ist dabei ein besonderer Brennpunkt. Politisch mag es ein Hotspot zwischen NATO-Raum und Russland sein. Religiös treffen dort West und Ost aufeinander, Westrom und Moskau als Ostrom. Eine Gemengelage, die jeden Konflikt verschärfen kann. Dass sich Franziskus da als derzeit weltweit geachtete Autorität mit Putin zusammensetzt, schadet nicht. Wenn in dieser Zeit die russische Orthodoxie versagt und sich an den Präsidenten anschmiegt, mag Franziskus, der nach vielen Reden zu urteilen gewiss nicht "den Westen" symbolisiert, eine eigene mahnende Stimme sein. Für den Frieden, gegen autoritäres Gehabe. Es bleibt zu hoffen, dass er den Mann aus Moskau erreicht hat. Den Versuch war es wert.