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Durch die Zerreißprobe gestärkt

Volker Wagener14. Dezember 2013

Hohe Wahlbeteiligung, viel Zustimmung: Die große Koalition kann kommen. Die SPD, abgekämpft und zerstritten nach dem historisch zweitschlechtesten Wahlergebnis, kommt gestärkt aus dem Votum heraus, findet Volker Wagener.

DW-Innenpolitik-Experte Volker Wagener (Foto: DW)
Bild: DW

Die SPD hätte sich 2013 gern in besserer Verfassung gezeigt. Immerhin hat die Partei ihren 150. Geburtstag gefeiert. Stattdessen fährt sie ein Ergebnis bei der Bundestagswahl im September ein, das man zu recht mager nennen darf. Eines, bei dem sich Experten fragen: Ist man mit 26 Prozent noch Volkspartei? Ein Scherbengericht musste eigentlich folgen, dachten alle. Stattdessen das Gegenteil. Aus der Not der Zerstrittenheit heraus wagt Sigmar Gabriel, der Vorsitzende, alles. Um mitregieren zu können an der Seite der souveränen Angela Merkel, muss er der Partei die große Koalition schmackhaft machen. Einer Partei, die sich noch heute die Wunden leckt, die ihr zwischen 2005 und 2009 zugefügt wurden.

Auch damals waren die Sozialdemokraten Juniorpartner an der Seite der populären Merkel. Eine Legislaturperiode in der die CDU die SPD marginalisierte und die Genossen zu allem Übel auch daran scheiterten, eigenes Profil zu zeigen. Das sollte sich nicht wiederholen, die Basis musste eingebunden werden bei der Frage, soll die SPD, so vom Wähler geschwächt, als kleines Rad im Merkelwagen vier Jahre in Berlin mitfahren? Unter Gerhard Schröder wurden die Genossen durch seine Sozialkürzungspolitik glattweg überfahren. Gabriel hat daraus einen Schluss gezogen.

Geschichte wiederholt sich


Was schon einmal auf der großen politischen Bühne gelungen war, hat Sigmar Gabriel nun innerparteilich angewandt. Er hat mehr Demokratie gewagt und riskiert, dass ihm die renitente linke Basis den mühevoll, aber durchaus SPD-freundlichen Koalitionsvertrag vor die Füße wirft, sprich: die Zustimmung zum erneuten "GroKo-Versuch" (Große Koalition) verweigert. Willy Brandt hätte es gefreut. In seinem 100. Geburtsjahr erinnert sich seine Partei nicht nur an ihn, sie wendet Brandts zentrales Politikmotto von 1969 auch an: "Wir wollen mehr Demokratie wagen", hatte er damals im Bundestag gesagt. Der politische Urenkel Sigmar Gabriel wird an die Brandt-Wort gedacht haben, als er den Weg des Mitgliederentscheids einschlug. Ein Alles-oder-nichts-Spiel. Das Erstaunliche daran: Die SPD hat es geschafft, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Nicht Merkel war die Herrin der Koalitionsbildung, es war Gabriel. Dem gelang es zudem sein Polter-Image zu korrigieren. Geradezu staatsmännisch trat er in den wochenlangen Verhandlungen in Erscheinung. Und sogar das Ergebnis trägt seinen Stempel: Denn der Koalitionsvertrag ist ein roter. Merkel musste mehr Zugeständnisse machen als ihr lieb war. Bevor es richtig losgeht, haben die Sozialdemokraten den machtpolitischen Spielraum Angela Merkels deutlich verkleinert. Ein unerwarteter Erfolg für eine Partei mit dem Rücken zur Wand.

SPD als Gestalterin der Energiewende?

Es bleibt der SPD keine andere Alternative als nun in der großen Koalition verloren gegangene politische Statur wieder zu finden. Vor dem Hintergrund, dass das Sozialdemokratische schon lange nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal der SPD herhalten kann, wird es die Partei schwer haben, sich unterscheidbar von den Politik-Konzepten der CDU/CSU zu machen. Vielleicht hilft dabei das neue Superministerium Wirtschaft und Energie. Das hat sich Sigmar Gabriel reserviert. Es ist neben dem Finanzressort das wichtigste im Kabinett.

Und obwohl die Wirtschaft aus dem Ministerium heraus wenige Impulse erhält, hängt sie nun am Energiekonzept der Bundesregierung. Die Energiewende, als Reaktion auf den Atomunfall in Fukushima beschlossen, ist das zentrale Politikfeld der Legislaturperiode neben dem Schulden- und Euromanagement. Gabriel sitzt somit an herausgehobener Stelle. Das ist mehr als eine Chance.

Wahlkampf 2017 hat schon begonnen

Mit dem Ausscheiden Peer Steinbrücks aus der Spitzenpolitik, dem immer weniger bedeutungsvollen Außenministerium für Frank-Walter Steinmeier - denn die "echte" Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht! - verbleibt mit Sigmar Gabriel das letzte politische Alphatier aus dem ehemaligen Genossen-Trio. Gabriel ist ehrgeizig und mit einer guten Portion Populismus gesegnet. Er kann ein echter Herausforderer Angela Merkels 2017 werden. Seine handwerklichen Qualitäten und seine rhetorischen Fähigkeiten haben ihm sogar seine innerparteilichen Gegner nie abgesprochen.

Was ihm bislang fehlte, war der Sympathiefaktor. Das, was der Mehrheit an Angela Merkel so gefällt: Die Zurücknahme, die Sparsamkeit in Gesten und Worten. Sigmar Gabriel ist da eher ein Poltergeist. Den ersten Schritt zur Selbsttherapie hat er während der Koalitionsverhandlungen und bei seinen Auftritten vor der Parteibasis, der er die Gründe für die große Koalition vordeklinierte, gemacht. Und das war eine Meisterleistung aus der Defensive heraus. So viel ist klar: Angela Merkel bekommt in ihrer dritten Amtsperiode einen selbstbewussten Koalitionspartner an ihre Seite. Und einen Vizekanzler, der das Geschäft der Nummer zwei nur solange machen möchte, solange es zwingend nötig ist.

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