Der kleine Syrer Aylan Kurdi - ertrunken bei der Überfahrt nach Europa. Kann man das Bild des toten Kindes am Strand zeigen? Oder muss man es sogar? Zur Entscheidung der DW Chefredakteur Alexander Kudascheff.
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Bilder, die die Welt bewegten
Fotos sind Momentaufnahmen, die für Sekunden den Lauf der Welt anhalten. Sie dokumentieren, in welchem Ausmaß Kriege, Revolutionen, politische Umbrüche oder terroristische Attentate die Menschlichkeit ausblenden.
Bild: picture-alliance/dpa/AFP
Vietnamkrieg 1972
Dieses Foto gilt als Ikone der Kriegsfotografie. Wenige Minuten nachdem Flugzeuge das Kriegsgebiet in Vietnam mit Napalmbomben bombardiert haben, versucht die neunjährige Kim Phúc,mit schwersten Verbrennungen auf der Haut vor den Angriffen zu fliehen. Das Bild hat die weltweite Diskussion um ein Ende des Vietnamkriegs stark beeinflusst. Das Mädchen überlebte und zog später nach Kanada.
Bild: picture-alliance/AP Images
Olympia-Attentat in München 1972
Größer konnte der Kontrast nicht sein: fröhliche, unbeschwerte Olympische Spiele in München 1972. Am elften Tag dann die schockierende Nachricht: Geiselnahme der israelischen Sportler im Olympischen Dorf. Elf Geiseln und ein deutscher Polizist werden ermordet. Fünf der palästinensischen Terroristen werden erschossen. Dieses Bild ging durch die Weltpresse.
Bild: dapd
Ermordung John F. Kennedys 1963
Ein Moment, der die Weltgeschichte veränderte: am 22. November 1963 wurde John F. Kennedy im texanischen Dallas im offenen Wagen erschossen. Der junge US-Präsident kämpfte gegen Rassentrennung, plante wichtige Reformen und bot auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges den Kommunisten die Stirn. Die Nachricht von dem Attentat auf den amerikanischen Präsidenten erschütterte die Menschen zutiefst.
Bild: picture-alliance/dpa
Studentenproteste Berlin 1967
Am 2. Juni 1967 eskalieren die Studenten-Demonstrationen in Berlin. Die Geschehnisse laufen aus dem Ruder, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. In der Dunkelheit fällt auf einmal ein Schuss. Wenig später liegt der junge Student Benno Ohnesorg blutend auf dem Boden, getroffen vom Schuss aus einer Polizeipistole. Dieses Ereignis war letztendlich der Auslöser der Studentenunruhen des Jahres 1968.
Bild: AP
Platz des Himmlischen Friedens 1989
Am 5. Juni 1989 steht auf einmal ein Mann auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Allein, in der Hand eine Einkaufstüte. Vor ihm haben in bedrohlicher Nähe die Panzer gestoppt, die bei dem Massaker auf dem Tian'amen-Platz die Demonstrationen der chinesischen Studenten gewaltsam niedergewalzt hatten. Der AP-Fotograf Jeff Widener hat es aus dem 6. Stock des Beijing Hotels aufgenommen.
Bild: AP
Afghanistan-Krieg 1984
Magnum-Fotograf Steve McCurry hat dieses Fotos von einem afghanischen Mädchen während der sowjetischen Okkupation Afghanistans gemacht. Es gilt auch als Symbol für die verzweifelte Lage der Flüchtlinge aus dem Afghanistan-Krieg. Als Titelbild der Zeitschrift "National Geographic" ging es 1985 um die Welt.
Bild: STAN HONDA/AFP/Getty Images
Attentat am 11. September 2001
Diese traumatisierte Frau irrt vollständig mit Asche bedeckt durch die Trümmer des World Trade Centers, kurz nach dem Zusammensturz der TwinTowers in New York. Ihr Name war Marcy Borders, erst viel später wurde ihre Identität bekannt. Als "Dust Lady" ist sie in der ganzen Welt bekannt geworden. Die Terroranschläge hat sie zwar überlebt. Sie starb am 26. August 2015 an Magenkrebs.
Bild: picture-alliance/dpa/AFP
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Dieses Bild ist ein entsetzliches Bild. Es zeigt den Schrecken der vergeblichen, der tödlichen Flucht aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Syrien. Es ist eine Momentaufnahme - wie sie täglich sich rund um das Mittelmeer abspielt.
Aber in diesem Bild ist der Horror des fürchterlichen Bürgerkriegs festgehalten. Es ist ein Bild, das berührt. Es ist ein Bild, das stumm macht vor schmerzhaftem Mitgefühl. Es ist ein Bild, das uns unsere Ohnmacht fühlen lässt. Es ist ein Bild, das nachdenklich macht. Und uns verstummen lässt. Es ist ein Bild, bei dem wir alle fühlen - es ist ein Bild des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts. Es steht für alles, was uns in diesen Monaten bewegt, berührt, zornig macht, empört. Und es ist ein schreckliches Bild.
Gute Gründe für eine Nicht-Veröffentlichung
Soll, darf, muss man es zeigen? Müssen wir, muss die Deutsche Welle es zeigen? Es gibt überzeugende, es gibt bedenkenswerte Gründe, es nicht zu zeigen. Da geht es um Pietät, um die Würde des Kindes, um berechtigte Zurückhaltung von uns Medien.
Wir haben uns entschieden, es zu zeigen. Nicht aus Sensationslust, nicht um Klick-Zahlen zu erzielen, nicht um im Fernsehen unsere Reichweite zu steigern. Wir zeigen es, weil es uns alle berührt. Wir zeigen es, weil es der Flüchtlingstragödie ein Symbol gibt: das des unschuldigen Kindes, für das die Eltern sich auf einen lebensgefährlichen Weg gemacht haben, um ihm eine menschlich bessere Zukunft zu geben, die tödlich im Meer endete.
Dieses Bild rüttelt auf
Wir zeigen es, weil es auch uns aufgerüttelt hat und wir in der Redaktionskonferenz nachdenklich und stumm waren. Berührt vom Leid und vom Tod. Wir zeigen es, weil wir das Leid empfinden und - mitten in der Hektik unseres journalistischen Alltags - inne gehalten haben. Vor diesem Bild.
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